Investigativ-Journalist Thomas Heise im Interview: „Es ist am wichtigsten, den Willen zu haben“
Thomas Heise ist investigativer Journalist beim Spiegel. Er beschäftigt sich vor allem mit Rechtsextremen, Clans und Rocker-Clubs wie den „Hells Angels“. Über seine Erfahrungen und Fälle hat er mit MADS-Autorin Olivia gesprochen.
Thomas Heise ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Bekannt geworden ist der 1959 geborene Heise unter anderem durch die Spiegel-Formate wie „Im Verhör“ oder die Berichterstattung über die Clans in Berlin.
Wie sind Sie zum investigativen Journalismus gekommen?
Ich komme aus der DDR, aus Ost-Berlin und in der Wendezeit habe ich immer gern den Spiegel gelesen. Ich fand Journalismus immer mega cool und den Spiegel auch. In der Wendezeit lernte ich einen Spiegel-Journalisten kennen und habe dann angefangen, als Researcher zu arbeiten. Hauptsächlich um Personen zu finden. Weil ich mich in Ost-Berlin gut auskannte, kamen ganz viele Journalisten zu mir und brauchten Hilfe. Das ging von BBC bis ZDF, ARD, ABC und so weiter. Weltweit. So habe ich das von der Pike auf gelernt, schaute anderen zu und nannte mich dann „Reporter“.
Welcher war Ihr „Lieblingsfall“?
Also das, was wir über Clans machen, ist ziemlich einzigartig in Deutschland, das machen keine anderen Journalisten. Das ist unser unique selling point – Clans, Rocker und alles, was mit Kriminalität zu tun hat. Früher habe ich auch viel über Rechtsradikale gemacht, über Neonazis im Osten. Aber einen richtigen Lieblingsfall habe ich nicht. Wenn, dann der Einbruch ins „Grüne Gewölbe“. Darüber habe ich mit meinem Kollegen Claas Meyer-Heuer auch ein Buch geschrieben.
Über seine Fälle: Ausführlich spricht Thomas Heise über seine recherchierten Fälle im Spiegel TV-Format „Im Verhör“. Dort thematisiert er unter anderem den Soda-Mord der „Hells Angels“ in Berlin, den Einbruch ins grüne Gewölbe oder den Diebstahl der Goldmünze. „Im Verhör“ erscheint außerdem auf YouTube und Spotify.
Hatten Sie schon mal Angst bei Recherchen?
Also Angst hat man immer erst im Nachhinein. In der Situation, wenn man mit Leuten redet oder wenn man Leute konfrontiert oder auch selbst konfrontiert wird, hat man in der Regel so viel Adrenalin, dass man dann erstmal versucht seinen Job zu machen. Ich erinnere mich noch an eine Szene, die ich mal mit einem Neonazi in Eberswalde hatte. Er hatte aus dem Fenster „Heil Hitler“ gerufen, weil wir da gedreht haben. Schließlich kam er runter und stand vor mir. Irgendjemand hat dann die Polizei geholt, weil er uns bedroht hat. Im Nachhinein hat die Polizei im Gebüsch ein Küchenmesser gefunden, was er hinter seinem Rücken hatte. Das war dann schon unangenehm zu wissen, dass er bewaffnet war.
Sind Sie schonmal bedroht worden?
Ja, das kommt immer mal wieder vor, dass man bedroht wird. Da muss man dann einfach ein bisschen aufpassen. Aber in der Regel ist man als Journalist so mobil und oft unterwegs, dass es für jemanden, der einen sucht, auch nicht so einfach ist, einen zu finden.
Thomas Heise: „Mittlerweile habe ich schon einen gewissen Namen in der Branche“
Wie sieht Ihr typischer Alltag aus?
Der Alltag besteht erstmal daraus, ein Thema zu finden, das man gerne machen will. Dann fängt man an, Informationen zu diesem Thema zu sammeln. Es gibt zwei generelle Linien, wie man Journalismus betreiben kann. Zum einen kann man öffentlich zugängliche Quellen nutzen. Ich arbeite aber mehr mit menschlichen Quellen. Ich ziehe los und schaue, ob ich Kontakte habe oder mir Kontakte aufbauen kann. Ich kenne also Leute oder Leute kennen mich. Mittlerweile habe ich schon einen gewissen Namen in der Branche, was auch ganz hilfreich ist, da man nicht erklären muss, wer man ist. So wird einem einfacher geholfen. Und so hangelt man sich dann durch. Ich versuche zum Beispiel an Ermittlungsakten zu kommen, um gewisse Zusammenhänge besser zu verstehen. Oder man versucht im Milieu Kontaktleute aufzubauen, die einem immer mal wieder einen Tipp geben, einem anderweitig helfen und mit Informationen versorgen.
Zur Person: Thomas Heise wurde 1959 in Ost-Berlin geboren. Seit 1994 arbeitet er als Reporter für Spiegel-TV und ist dort verantwortlicher Leiter für Investigation. Zuvor hat er Psychologie studiert und war unter anderem an der Auflösung der Stasi beteiligt. Er fokussiert sich in seinen Recherchen in erster Linie auf Rechtsextremismus, Clans, kriminelle Banden und Rocker. Mit Jörg Diehl und Claas Meyer-Heuer hat er mehrere Spiegelbestseller veröffentlicht und für den Film „Die Macht der Clans“ den bayrischen Fernsehpreis erhalten.
Sie hatten viel mit Clans zu tun. Gab es Reaktionen – vor allem auch auf Ihr Buch – aus diesem Milieu?
Ja, Reaktionen gibt es ja immer wieder. Manchmal bekommt man WhatsApp-Nachrichten oder wird auch mal angerufen. Manchmal wird man beschimpft, manchmal wird man auch nicht beschimpft. Das sind so die Reaktionen, die man persönlich kriegt. Als Unternehmen kriegt man natürlich auch oft Reaktionen, wenn zum Beispiel Anwälte eingeschaltet werden. Die versuchen dann unsere Berichterstattung zu verhindern, aber zum Glück haben wir beim Spiegel eine mega coole Rechtsabteilung, die sehr „kriegserfahren“ ist und in der Regel gewinnen wir dann vor Gericht.
Wurde Ihre Arbeit auch bei Gerichtsverhandlungen verwendet?
Das kommt immer wieder vor. In einem berühmten Rockermord-Prozess hatte das Gericht einen eigenen Beweisordner, mit dem Titel „SPIEGEL TV“. Unsere Filme werden auch in Prozessen vorgeführt. Auch jetzt ganz aktuell bei einem großen Einbruch, der in Berlin gelaufen ist, bei dem ein Clan und sein Umfeld ca. 50 Millionen Euro erbeutet haben. Da habe ich auch Sachen herausgefunden, die die Staatsanwaltschaft und die Ermittler sehr interessieren.
„Ich habe mein Hobby zu meinem Beruf gemacht“
Macht Ihnen Ihr Beruf Spaß?
Mega. Es ist der schönste Beruf der Welt. Es ist nichts, wo man mich zum Arbeiten tragen muss. Ich habe mein Hobby zu meinem Beruf gemacht. Ich liebe diesen Beruf über alles. Natürlich haben wir auch eine tolle Redaktion. Wir sind so ein cooles Team mit Maria Gresz an der Spitze. Also ich liebe diesen Laden, den Spiegel und Spiegel-TV. Am meisten aber meine Frau.
Haben Sie noch abschließende Tipps für jüngere Journalisten?
Ich würde jedem den Rat geben, nicht zu viel zu arbeiten, sondern sich auch ab und zu mal um die Familie zu kümmern. Ich habe vier Söhne und im Nachhinein ärgere ich mich schon, dass ich manche Projekte nicht auch mal abgesagt habe. Wenn man seinen Job so gerne macht, dann kommt es oft vor, dass die Familie zu kurz kommt. Da muss man immer versuchen die Waage zu halten, denn für das Lebensglück ist es auch wichtig, dass die Familie funktioniert.
Aber um in die Branche hereinzukommen, ist es auf jeden Fall wichtig zu fragen und zu schauen wie andere es machen. Also sich einfach schlau zu machen. Ich hatte am Anfang ja auch nichts mit Journalismus zu tun, ich habe Psychologie studiert und bin da hereingerutscht. Aber ich hatte immer mal wieder so Leute, wie zum Beispiel Stefan Aust, die mir gezeigt haben, wie das alles geht und was wichtig ist. Damit konnte ich mich ganz gut weiterbilden und bin gut reingekommen. Und man darf auch keine Angst haben. Man muss Ziele haben.
Beim investigativen Journalismus ist es am wichtigsten, den Willen zu haben, Sachen rauszufinden. Am Anfang habe ich viel umsonst recherchiert, was man überhaupt nicht gebraucht für den Film gebraucht hat, aber ich habe immer alles wissen wollen. Sowas macht einen sicher – beispielsweise im Umgang mit den Informanten. Wenn die merken, dass das, was man macht, wichtig ist und auch von dir als wichtig erachtet wird, dann ist der Umgang viel einfacher. Das ist auf jeden Fall ein guter Einstieg, dann muss man sich natürlich auch irgendwie spezialisieren und weiterbilden.
Von Olivia Bodensiek
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