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Ein normales Leben mit HIV-Infektionen immer besser möglich

Ein normales Leben mit HIV-Infektionen immer besser möglich
Foto:  Britta Pedersen/dpa

Aids-Kranke sollten Mitte der 1980er-Jahre in Heimen untergebracht, Zwangstests für Prostituierte und Drogenabhängige geschaffen werden – in den Anfangsjahren von HIV und Aids schlugen CSU-Politiker wie Peter Gauweiler und Horst Seehofer Alarm, wollten die Bevölkerung mit scharfen Anti-Aids-Regelungen vor einer Krankheit schützen, die zu jenem Zeitpunkt noch kaum jemand richtig überblickte. Angehende Beamte mussten sich in Bayern testen lassen.

Mit mehr Forschung und Aufklärung kam es zu einem Umdenken. Das einstige Tabu-Thema erhielt die nötige Aufmerksamkeit. Die damalige Gesundheitsministerin Rita Süßmuth (CDU) initiierte umfangreiche Aufklärungsarbeit, die etwa mit Kampagnen wichtige Beiträge leistete: „Tina, watt kosten die Kondome“? – Der Sketch mit Hella von Sinnen zur Prävention von HIV und Geschlechtskrankheiten, holte ein Thema aus der Schmuddelecke in die Fernseh-Primetime und ins Bewusstsein der Bevölkerung.

HIV: Duale Therapie und Antikörper

Gerade in der Anfangszeit war die Überlebensrate – zumeist, aber nicht nur, waren junge Homosexuelle betroffen – gering. Inzwischen sind die Aussichten gut, mit unterschiedlichen Therapieansätzen ein annähernd normales Leben führen zu können. In den kommenden Jahren werden sich also die Fragen nach Altenpflege von HIV-Infizierten stellen – und inwiefern sich die Behandlungsfähigkeit auf Infektions-Prävention auswirkt.

Vor gut zwanzig Jahren revolutionierte die antiretrovirale Therapie (das HI-Virus gehört zur Gruppe der Retroviren) die Behandlung von HIV-Patienten. Die Kombination von mindestens drei HIV-Medikamenten drückt die Viruslast im Blut der Patienten unter die Nachweisgrenze und verhindert so den Ausbruch der Immunschwächekrankheit Aids. Hierdurch wandelte sich die HIV-Infektion zu einer chronischen Erkrankung.

Oft reicht heute eine Pille am Tag

Inzwischen steht die über Jahrzehnte etablierte Therapie im Wandel: Der Dreier-Cocktail wird zunehmend ersetzt durch nur noch zwei Medikamente. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, bei vielen Patienten eine duale Therapie einzusetzen“, sagt Norbert Brockmeyer von der Uniklinik Bochum. Dieser Therapieansatz sei ähnlich wirksam, habe jedoch weniger Nebenwirkungen, betonte der Sprecher des Kompetenznetzwerkes HIV/Aids. Oft reiche nun eine Pille pro Tag, die eine komplette Medikamentenkombination enthalte. Die Therapie beeinträchtige den Alltag von HIV-Patienten heute kaum noch: Sie können jeden Beruf ausüben, jeder Art von Freizeitaktivität nachgehen, Sexualität genießen und auf natürliche Weise gesunde Kinder bekommen, schreibt die Aids-Hilfe in einer Pressemitteilung zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember.

Fortschritte erzielt die HIV-Therapie auch mit Antikörpern. Die Idee dazu ist nicht neu: Schon Mitte der 1980er-Jahre schlugen Mediziner vor, den Aids-Erreger mit Antikörpern zu bekämpfen. „Das Feld hat sich in den letzten fünf bis acht Jahren sehr stark entwickelt, auch aus technischen Gründen“, sagt Florian Klein, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Köln. Inzwischen könne man hochspezifische Antikörper synthetisch herstellen. „Das sind rein humane Antikörper, die aus HIV-infizierten Menschen isoliert wurden, die eine besonders starke Antikörper-Antwort gegen das Virus zeigten.“ Derzeit prüften mehr als 30 Studien das Potenzial von Antikörper-Therapien gegen HIV.

Immer ältere HIV-Patienten

Nach den Zahlen des Robert-Koch-Instituts ging im vergangenen Jahr die Zahl der HIV-Neuinfektion auf 2700 Betroffene zurück. Aber: In den Altersgruppen ab 45 Jahren nahm die Zahl der HIV-positiven Menschen weiter zu. Die Deutsche-Aids-Stiftung beobachtet ebenfalls eine starke Zunahme der Hilfsanfragen bei HIV-Positiven, die älter als 40 Jahre alt sind. Seit 1993 habe sich der Anteil der 40- bis 49-Jährigen unter den Antragstellenden auf rund ein Drittel verdreifacht. Bei den 50- bis 59-Jährigen sei der Anteil der Hilfesuchenden sogar um das 25-fache gestiegen.

„Rund ein Drittel der HIV-positiv getesteten Menschen in Deutschland geht zu spät zum HIV-Test,“ sagt Kristel Degener, Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aids-Stiftung. Diese litten häufig bereits unter einem fortgeschrittenen Immundefekt. Einige zeigten bereits Symptome einer Aids-definierenden Erkrankung, wenn sie sich testen ließen. Darunter auffällig viele Menschen über 40 Jahre.

Hinzu kämen viele HIV-Positive, die seit Jahren und Jahrzehnten infiziert sind und therapiert werden. „Sie sind häufig psychisch und physisch eingeschränkt und benötigen ebenfalls Hilfe.“ Degener rechnet zudem damit, dass diese Altersgruppen in wenigen Jahren verstärkt nach ambulanter und stationärer Pflege nachfragen dürften.

Nebenwirkungen lassen sich vermeiden

Denn trotzdem stelle eine HIV-Infektion eine Belastung für den Körper dar, unter anderem weil sie eine chronische Entzündungsreaktion im Körper hervorrufe, erklärt die Aids-Hilfe. So steige etwa das Risiko einiger Tumorerkrankungen. Auch die Medikamente selbst könnten auf Dauer den Organismus schädigen, indem sie Nieren belasten und Cholesterinwerte erhöhen. Die gute Nachricht: Durch ärztliche Begleitung und Wechsel von Medikamenten ließen sich diese Nebenwirkungen in der Regel vermeiden.

Weltweit leben rund 36,9 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, beinahe zwei Millionen Neuinfektionen kommen jährlich hinzu. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern ist die Zahl der Infizierten hoch. Noch immer erleben Betroffene Ausgrenzung und Stigmatisierung. In Deutschland gibt es rund 86.000 HIV-positive Menschen. Da immer weniger an den Folgen der Infektion sterben, steige diese Zahl jährlich. Knapp 69.000 der Infizierten sind medikamentös eingestellt. Aber: Nach Schätzungen der Aids-Hilfe leben in Deutschland mehr als 11.000 Menschen, die selbst nichts von ihrer Infektion wissen.

Ein frühzeitiger HIV-Test könnte hier nicht nur ein Bewusstsein schaffen, denn die Behandlung mit Medikamenten sollte umgehend erfolgen. Im Herbst ließ das Gesundheitsministerium einen HIV-Selbsttest zu, um so die Hemmschwelle zu senken.

Aids und HIV – immer noch Tabuthema?

In den Anfangsjahren galten Aids und HIV als Themen von Homosexuellen und Drogenabhängigen. Um die Infektionswege gab es viele Gerüchte: Anhusten, gemeinsam ein Glas benutzen oder auch schon eine Berührung. Das führte in aller Regel zu Ausgrenzung der Infizierten. Queen-Sänger Freddie Mercury, der bereits seit Anfang der 1980er-Jahre von seiner Infektion wusste, informierte erst am 23. November 1991, einen Tag vor seinem Tod, die Öffentlichkeit von seiner Aids-Erkrankung.

Heute gehen Schauspieler und Musiker mit einer HIV-Infektion oftmals in die Öffentlichkeit. Zuletzt etwa Thomas Neuwirth, der als Kunstfigur Conchita Wurst 2014 den ESC gewann und sich im April 2018 zu seiner HIV-Infektion äußerte. Jedoch erst, nachdem ein Erpresser versucht hatte, dies öffentlich zu machen.

Nach Angaben der Aids-Hilfe werden Betroffene noch immer diskriminiert – insbesondere im Gesundheitswesen. Einer Befragung der Aids-Hilfe zufolge verweigerten rund 20 Prozent der Mediziner aufgrund einer HIV-Infektion die Behandlung. So erhielten Betroffene etwa beim Zahnarzt keinen Termin. Oft werde Patienten mit einer HIV-Infektion auch jeweils nur der letzte Behandlungstermin am Tag angeboten, da Ärzte und Praxispersonal davon ausgingen, dass im Anschluss besondere Reinigungsmaßnahmen nötig seien. Auch berichteten Befragte davon, dass ihre Akten in Krankenhäusern besonders auffällig gekennzeichnet wurden.

HIV und Aids: Safer-Sex nicht mehr notwendig?

Wenn ein HIV-Risiko besteht, sollte man sich testen lassen, mahnt die Aids-Hilfe. Auch beim Geschlechtsverkehr böten Kondome – richtig benutzt – immer noch einen sicheren Schutz. Und das nicht nur vor HIV, sondern auch vor Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Tripper, Hepatitis B und Hepatitis C. Die größte Gruppe der Infizierten stellen nach wie vor Männer, die sexuelle Kontakte mit Männern hatten.

Doch auch Personen mit häufig wechselnden Sexualpartnern setzen sich und andere einem erhöhten Ansteckungsrisiko aus, sagt der Berufsverband Deutscher Internisten. Eine Beschneidung der männlichen Vorhaut senke zwar das Ansteckungsrisiko, verhindere jedoch nicht das Risiko einer Übertragung. Bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr haben Frauen sogar ein mindestens doppelt so hohes Risiko, sich bei dem infizierten Partner anzustecken.

HIV-Prophylaxe PrEP mindert Ansteckungsrisiko

Seit geraumer Zeit gibt es eine HIV-Prophylaxe, die so genannte „Prä-Expositions-Prophylaxe“, kurz PrEP. Im Zentrum stehen Arzneistoffe, die als HIV-Medikamente lang erprobt sind, aber auch vorbeugend eingesetzt werden können. „Allen Aufklärungskampagnen zum Trotz wird die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland nicht wesentlich kleiner. Deshalb müssen wir neue Schutzmethoden fördern“, erklärt Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse DAK.

Die PrEP könne bei regelmäßiger Einnahme der verordneten Medikamente das Ansteckungsrisiko fast vollständig ausschalten. Dabei hemmen die Wirkstoffe Tenofovir und Emtricitabin ein spezielles Enzym des HI-Virus und verhindern somit, dass es sich im menschlichen Körper fortpflanzt. Maßgebliche Studien haben einen Schutzeffekt von 96 Prozent ergeben, so Storm weiter. Die DAK plant, eine neue Satzungsleistung für PrEP zu beschließen.

„Die PrEP wird das Kondom nicht ersetzen. Das Kondom bleibt für die meisten Menschen das einfachste Mittel, sich vor HIV zu schützen, und reduziert das Risiko anderer Geschlechtskrankheiten. Aber manche Menschen brauchen die medikamentöse Prophylaxe, um sich nicht zu infizieren“, erklärt Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen Aids-Hilfe. Bislang könne das Medikament nur von bestimmten Ärzten verschrieben werden, die Tabletten kosteten rund 40 Euro im Monat.

Von RND/Gunnar Müller


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