Corona-Logbuch: Sheila (20) wollte eigentlich in Australien bleiben
Viele sind zur Zeit gezwungen, ihre Reisen wegen Corona abzubrechen. So auch MADS-Autorin Sheila, die ursprünglich erst im Spätsommer nach Deutschland zurückkehren wollte. Wie es ihr bei dem Reiseabbruch ging, erzählt sie im Corona-Logbuch.
Ich sitze an meinem Schreibtisch und habe meine viermonatige Reise nur noch als große Erinnerung in meinem Kopf. Noch vor wenigen Wochen saß ich am Strand in Australien und hätte mir niemals erträumt, nun wieder zurück in Deutschland zu sein. Doch das Corona- Virus hat auch meine Reisepläne beeinträchtigt und mich vier Monate früher als geplant nach Hause geschickt.
Als das Coronavirus den europäischen Kontinent bereits in ein humanitäres Chaos verwandelt hatte, war davon in Australien noch nicht wirklich etwas zu spüren. Nur die Benachrichtigungen meiner Nachrichten-App erinnerten mich an das Virus und dessen fatale Folgen. Doch dann ging auch bei uns auf einmal alles sehr schnell. Die ersten Backpacker verloren ihre Jobs und es hieß, der Bundesstaat New South Wales plane den großen „Lockdown“. Einreisende aus dem Ausland wurden in eine zweiwöchige Quarantäne gezwungen, bis es nur noch mit einem australischen Pass erlaubt war, das Land zu betreten. Und ob Backpacker oder Einheimische: Corona war von einen Tag auf den anderen das Gesprächsthema Nummer Eins. Immer und überall. Auch für mich war das Thema nicht mehr auszublenden. Ich musste mir nun die Frage stellen: „Was soll ich jetzt tun?“, und schnellstmöglichst eine Entscheidung treffen.
Aupair- Familie als Lösung
Ich fing an, verschiedene Möglichkeiten durchzugehen. Anfänglich zählte ein Abbruch der Reise noch nicht zu meinen Optionen. Viel eher wollte ich versuchen einen sicheren Ort zu finden, der mir während einer möglichen Quarantäne ein zuverlässiges zu Hause sein würde. Eine Familie, bei der ich als Aupair arbeiten könnte, war für mich die beste Idee. So müsste ich mich weder um ein Bett, noch um Lebensmittel kümmern und wäre grundlegend versorgt. Schnell hatte ich ein für mich perfekt klingendes Heim gefunden: Eine australische Familie, drei Kinder, in einem kleinen Strandort lebend. Sie boten mir an, gegen etwas Hilfe im Haushalt, ein Familienmitglied auf Zeit zu werden. Ein kurzes Durchatmen.
„Bist du dir sicher, dass du mit einer fremden Familie, irgendwo in Australien in einem Haus festsitzen willst? Auf unbestimmte Zeit?“, fragte mich meine beste Freundin per Videochat. Nein, eigentlich nicht. Plötzlich war ich mir da nicht mehr so sicher. Ihre ratsamen Worte schoben meine aktuellen Pläne in den Hintergrund. Das Gedankenkarussell ging wieder von vorn los. Zwei Tage lang kreiste in meinem Kopf wieder nur die eine Frage: „Was soll ich tun“? Ich versuchte mit möglichst vielen weiteren Leuten zu sprechen: Freunde, Familie, Reisende. Ich brauchte einen Rat, so eine Situation kannte ich nicht. Letztendlich musste ich aber allein entscheiden, was ich nun tun sollte. Über Nacht wurde die Option nach Hause zu fliegen immer realistischer, hinterließ ein Gefühl in meinem Bauch, das mir versprach das Richtige zu tun und offenbarte sich schlussendlich als die wohl vernünftigste Lösung. Am nächsten Tag buchte ich meinen Rückflug nach Deutschland. Ich war erleichtert endlich eine Entscheidung getroffen zu haben.
Ein positiver Abschluss, trotz des ganzen Stresses
Befreit von allen Sorgen und Gedanken, die mir zuvor eine entspannte Zeit am Strand unmöglich gemacht haben, konnte ich die Schönheit des Landes an meinem letzten Tag noch einmal in vollen Zügen genießen. Mir war es wichtig, trotz eines sehr abrupten Endes meiner Reise, positiv mit dieser Zeit abschließen zu können. Denn eigentlich wollte ich noch einige Länder Asiens bereisen und erst im Spätsommer die Heimreise antreten. Und nun ging mein nächster Flug nicht wie gewünscht nach Vietnam oder Indien, sondern zurück nach Deutschland. Natürlich ist das eine große Enttäuschung. Gleichzeitig wurde mir jedoch klar, wie schnell eine solche Reise vorbei sein kann, und dass all meine Erfahrungen und Erlebnisse keine Selbstverständlichkeit sind.
„Gleichzeitig wurde mir jedoch klar, (…), dass all meine erfahrungen und Erlebnisse keine Selbstverständlichkeit sind.
Sheila musste ihre Reise vier Monate früher als geplant abbrechen.
Ich habe mich dazu entschieden, dankbar für die vier Monate zu sein die ich hatte, anstatt den weiteren vier hinterher zu trauern, die mir nun genommen wurden. In einer solchen Ausnahmesituation steht das persönliche Glück eben hinten an. So sollte es meiner Meinung nach zumindest sein. Viele Menschen haben ihre Reisen abgebrochen und obwohl es momentan viel wichtigeres gibt, als einfach ins Ausland reisen zu können, sind sicherlich viele Urlauber, Backpacker und Reisende genauso enttäuscht wie ich, dass sie ihre Pläne nicht umsetzen können. Ich bin nicht die Einzige. Dieser Gedanke hat mir tatsächlich geholfen, mich über all das zu freuen, was ich alles erlebt habe. Vier Monate voller toller Begegnungen, Abenteuer und wunderschöner Orte. Es ist ein Privileg, das alles als große Erfahrung in sich zu tragen. Das weiß ich.
Als ich zwei Tage später am Flughafen meiner Rückkehr entgegenblickte, zeugte lediglich mein geöffneter Check-In Schalter von meinem scheinbar stattfindenden Flug. Abgesehen von einer kleinen Menschentraube, die sich mit einem Corona- Sicherheitsabstand von zwei Metern um den Schalter versammelt hat, war Brisbanes „International Airport“ wie leergefegt. Meine Airline war eine der wenigen, die überhaupt noch flog, die meisten anderen Flüge wurden gecancelt. Und dann saß ich im Flugzeug, 14 Stunden bis zum ersten Zwischenstopp in Dubai, und ließ mir mein Essen von einer Stewardess mit Mundschutz und Gummihandschuhen reichen.
„Ich hatte eine tolle Zeit und fühle mich jetzt sicher“
Nun bin ich wieder zurück – froh und dankbar, dass meine Rückkehr problemlos geklappt hat. Mein Flug war vorerst einer der letzten regulären Flüge nach Deutschland. Kurz danach haben die Flughäfen in Dubai und Abu Dhabi den Betrieb eingestellt, sodass eine Rückreise zunehmend unmöglich scheint. Ich habe mir meine Rückkehr natürlich anders vorgestellt. Dass ich mich nun nicht mit all denen treffen kann, die ich länger nicht gesehen habe, wäre mir vor einiger Zeit gar nicht in den Sinn gekommen. Doch durch das Corona-Virus bleibt mir keine andere Wahl. Das Ganze ist natürlich ärgerlich und wirklich unerwartet. Ich aber halte mich an dem Wissen fest, das jeder einzelne unter der jetzigen Situation leidet und mit Enttäuschungen zu kämpfen hat und ich nicht die Einzige bin. Ich hatte eine tolle Zeit, fühle mich jetzt sicher und bin nicht so stark von der Situation betroffen, wie andere Menschen auf der Welt. Und dafür kann ich dankbar sein.
Von Sheila Dierks
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