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Clueso über Neuanfänge: „Mir macht gar nichts Angst“

Clueso über Neuanfänge: „Mir macht gar nichts Angst“
Foto:  Universal Music

„Neuanfang“ heißt das aktuelle Album von Clueso. Im Interview erzählt er, warum Neuanfänge schwer sind und was ihn momentan am Deutschpop nervt. ZiSH verlost Tickets für sein Konzert in der Swiss-Life-Hall.

„Neuanfang“ heißt dein aktuelles Album und einen Neuanfang hast du auch gewagt. Was hat sich seit dem letzten Album alles in deinem Leben verändert?
Ich hatte zwei Firmen und ganz viele Angestellte: ein eigenes Label und eine eigene Merchandise-Firma. Das wurde mir aber zu viel Verantwortung, deshalb habe ich mich davon gelöst. Nun habe ich ein neues Umfeld und ein kleineres Team, ein Management in Berlin und eine neue Band. Das ist eine ganz andere Unabhängigkeit, die ich cool finde und die mir sehr hilft, erwachsen zu werden.

An welchen Entscheidungen hast du denn gemerkt, dass du erwachsen geworden bist?
Ich weiß noch gar nicht, ob ich schon richtig erwachsen bin (lacht). Sagen wir mal, ein Teil von mir ist sehr erwachsen geworden. Bei meiner Arbeit hatte ich irgendwann eine Blockade, weil mir die Verantwortung für die Leute zu groß war. Aus einer Situation herauszugehen, weil man merkt, das kann ich jetzt nicht so leicht, das ist ja irgendwie doch ein erwachsener Move.

Was macht dir mehr Angst: Freiheit oder Sicherheit?
Mir macht gar nichts Angst. So sprunghaft bin ich ja auch nicht, ich habe 15 Jahre mit den gleichen Leuten zusammengearbeitet. Nur habe ich gemerkt, dass ich niemandem eine Aufstiegschance bieten konnte. Ich, der Künstler, bin schließlich da oben und danach kommt nichts mehr. Die Perspektive für die Leute war immer nur, dass ich weitermache.

Was ist daran schlimm?
Ich schreibe wirklich alles selbst oder mit Kumpels zusammen. Da muss ich halt warten, bis mir was einfällt. Wenn man Versprechen gibt, will man sie halten. Aber wenn man Dinge ausprobiert, geht das vielleicht nicht immer. Ich wollte ein Reisealbum machen, habe das aber dann doch gelassen.

Konzert mit Wohnzimmeratmosphäre: Clueso spielt vor 550 Menschen in der Galerie in Herrenhausen. Foto: Körner

Wieso?
Weil die Trennung so viel in mir bewegt hat. Die Couch im Studio, auf der ich geschrieben habe, war für mich ein bisschen so wie ich mir die Couch beim Psychiater vorstelle. In Windeseile waren zehn Texte fertig.

Was glaubst du, warum fällt es Menschen so schwer, sich für einen Neuanfang zu entscheiden?
Neuanfang heißt, sich für etwas anderes zu entscheiden. Das wird aber von vielen Menschen auch so aufgefasst, als entscheide man sich gegen sie. Der Mensch hat grundsätzlich davor Angst, dass Dinge nie wieder so sein werden.

Das klingt nicht so positiv.
Man muss damit rechnen, dass im Leben alles passieren kann, auch gute Dinge. Es ist ein bisschen wie die Reise nach Jerusalem, das Kinderspiel, bei dem man um den Stuhl rennt. Wenn alle Plätze voll sind, kann sich keiner hinsetzen. Wenn man auf seinem Platz festsitzt, kann nichts Neues passieren.

Man hält lieber aus, statt etwas Neues in die Hände zu nehmen.
Ja. Wenn sich bei mir da Leute drüber beschweren, sage ich: „Guck mal, du hast doch zwei gesunde Hände, siehst gut aus, stehst im Saft deines Lebens: Fang doch etwas Neues an. Aber ich will über dieses Thema nicht mehr reden, ändere oder lass es.“ (lacht).

Verlässt du dich lieber auf dein Bauchgefühl?
Ja, sehr. Ich kann aber auch viele Sachen gut verdrängen, nur wird mein Bauch dann irgendwann sehr laut. Ich bin Musiker, ich schreibe Zeilen hauptsächlich über das Thema, was gerade in mir vorgeht. Ich will vielleicht einen Song über ein ganz anderes Thema schreiben und lande dann automatisch bei einem Thema und merke: Ah, da ist ein Problem, das in mir schlummert. Wenn ich das dann nicht ändere, schreibe ich vielleicht noch fünf solcher Songs.

Deine Songs klingen unbeschwert, du singst darin aber wie in „Achterbahn“ von Leistungsdruck und der Suche nach einem eigenen Weg. Wie passt das zusammen?
Das ist schnell erklärt. Ich war in einer Phase, wo es richtig schwierig wurde in meinem Leben. Da muss man gucken, dass man keinen Blues kriegt, aus dem man wirklich nicht mehr herauskommt. Ich brauchte einfach Power und vermisse sogar noch zwei bis drei Songs mehr wie „Neuanfang“ und „Achterbahn“. Es hätte ruhig noch mehr knallen können. Außerdem machen momentan in Deutschland ja wirklich viele sehr melancholische Musik. Da habe ich keinen Bock, mitzuschwimmen.

Erfolgreicher Gitarrenpop: Clueso spielt in der ausverkauften AWD-Hall. Foto: Peters

Spielst du damit auf solche Künstler wie Tim Bendzko oder Max Giesinger an?
(lacht) Das hast du gesagt.

Aber Deutschpop ist momentan doch schon relativ weinerlich.
Ich habe überhaupt nichts gegen Deutschpop. Wanda ist auch eine Popband mit großen Refrains und sehr, sehr geil. Am schlimmsten sind die Leute, die fast so was wie Schlager machen, die Themen so einfach halten. Es klingt manchmal wirklich, als würden Künstler eine Whatsapp-Gruppe aufmachen und überlegen: Welches Thema hat denn die Gesellschaft gerade, alles klar, schreiben wir doch in diese Richtung. Es sind aber nicht nur die Macher. Es sind auch die Leute selber, die hören ja so einen Quatsch.

Wie müsste sich die deutsche Popmusik denn entwickeln?
Ich glaube nicht, dass sich die Popmusik verändern muss, sondern der Zuhörer. Und da entsteht eine Gegenbewegung, das passiert ja zum Glück gerade. Es gibt Marteria, Kraftklub, Bilderbuch und viele andere Bands, die Texte haben, die auch mal einen doppelten Boden haben. Die sind halt nur nicht immer so im Radio präsent.

Was macht für dich Erfolg aus?
In der Musik gibt es für mich immer die Frage: Wann funktioniert Emotion? Für mich gibt es nichts Erfolgreicheres, als wenn man selbst etwas abfeiert und geil findet – und das dann die Leute auch erreicht. Das ist ja als Musiker das Geilste, dass man schnell eine Resonanz hat. Außerdem, ganz egoistisch gesehen, gibt das Ganze meinem Leben einen Sinn.

Ist es für dich persönlich ein Erfolg, frei zu sein und zu entdecken, dass man nicht den Konventionen folgen muss?
Musik zu machen, ist eine Entscheidung gewesen. Das muss ich mir immer wieder selbst bewusst machen. Durch die Bekanntheit entstehen auch sehr viele Aufgaben, die sehr unfrei wirken. Aber dahinter steht immer die Freiheit, dass ich das wirklich so will. Diese Freiheit hat aber auch jemand, der ein Studium macht und das wirklich will.

Wäre ein Studium auch etwas für dich gewesen?
Dafür hätte ich den Realschulabschluss nachmachen müssen. Ich habe mich aber sehr schnell für die Musik interessiert und mich darin verloren. Hätte ich damals mit meinem Abschluss studieren können, ich hätte es sehr gern gemacht. Es gab eine Zeit, wo ich merkte, dass Musiker mit Akkorden, Harmonien und Partituren um sich werfen und erklären konnten. Ich konnte das alles nicht. Ich musste mit Händen und Füßen erklären und war der Dumme, der aber führen musste. Das war echt eine harte Zeit. Inzwischen kann ich das besser.

Welches Fach hättest du an der Uni gewählt?
Musik, Kommunikationswissenschaften oder Philosophie. Alles, was quasi meiner Musik Input gibt.

Interview: Sarah Franke

Clueso live: Mit seiner „Neuanfang“-Tour kommt Clueso auch nach Hannover – am Sonntag, 1. Oktober, um 20 Uhr in der Swiss-Life-Hall, Ferdinand-Wilhelm-Fricke-Weg 8. Tickets gibt es für 44,65 Euro in allen HAZ-Ticketshops und unter haz.de/tickets.

Verlosung: ZiSH verlost Dienstag bis 15 Uhr auf www.facebook.com/ZishHAZ dreimal zwei Karten für Clueso in der Swiss-Life-Hall.

Vom Friseur zum Poeten: Das ist Clueso

Schule, Abschluss, Ausbildung: Damit kann der Deutschpop-Sänger Clueso nichts anfangen. Nach seinem Hauptschulabschluss begann er eine Lehre als Friseur – schnell fand er aber Hip-Hop interessanter als Haareschneiden. Clueso, der bürgerlich Thomas Hübner heißt, gründete 1996 mit zwei weiteren Musikern die Crew EFP 96. „Text und Ton“, sein Hip-Hop-Debütalbum als Clueso, veröffentlicht er im Jahr 2001.

In seiner Heimatstadt Erfurt bezog Clueso mit Freunden ein verwaistes Bahnhofsgebäude, den Zughafen. Aus dem leer stehenden Bürogebäude wurde ein Künstlernetzwerk. Alben und Tourneen produziert Clueso selbst. Mit vielen Menschen, die für ihn arbeiten, war er auch befreundet. Vor zwei Jahren wurde ihm die Verantwortung aber zu viel: Er trennte sich von seiner Band und dem Zughafen, um sich wieder voll auf seine Musik konzentrieren zu können.

Bislang hat der 37-Jährige sieben Studioalben veröffentlicht, das aktuelle aus dem Jahr 2016 heißt „Neuanfang“. Sein Sound veränderte sich im Laufe der Zeit: Aus Hip-Hop wurde Pop. Clueso ist nachdenklicher, verliert dabei aber in seinen Songs nicht den entspannten und positiven Klang.


Über den Autor/die Autorin:

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