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Chatten nach dem Tod: Mit KI gegen die Trauer

Chatten nach dem Tod: Mit KI gegen die Trauer
Foto: Montage: RND, Fotos: 9dreamstudio/Fotolia, BillionPhotos.com/Fotolia, Mallmo/Shutterstock, RND

Einige Start-ups bieten an, Chatbots nach dem Vorbild echter Menschen zu programmieren. Nutzern gibt diese Technik die Illusion, mit längst verstorbenen Angehörigen zu chatten. Doch ist das wirklich eine gute Idee?


Trauer ist eine sehr starke Emotion. Der Schmerz und die Verzweiflung über den Verlust eines Menschen, kann die Hinterbliebenen ungewöhnliche Dinge tun lassen. So wie Martha, die mit dem plötzlichen Tod ihres Mannes Ash zu kämpfen hat: Sie entschließt sich, eine neue Technologie auszuprobieren.

Aus seiner Online-Kommunikation und seinen Social-Media-Profilen lässt sie einen virtuellen Ash kreieren. Einen Ash, mit dem Martha erst stundenlang chatten, dann wirklich reden kann und der schließlich als Roboter sogar bei ihr einziehen darf. Das geht erst einmal gut, bis es schließlich unweigerlich – und weil Ash und Martha Figuren aus der britischen Serie „Black Mirror“ sind – ein dramatisches Ende nimmt.

Wenn der Soziologe Carl Öhman beschreiben soll, was sich hinter den Fachbegriffen verbirgt, mit denen sich seine Forschung beschäftigt, fragt er: „Hast du diese ,Black Mirror’-Folge gesehen? Es ist im Grunde das, aber in real.“ Tatsächlich ist das, was die Folge zeigt, in Teilen schon heute technisch möglich. „Quasi jeder, der Social Media und Suchmaschinen nutzt, hinterlässt genügend Daten über sich selbst, um daraus einen Chatbot zu bauen“, sagt Öhman. Das heißt: Theoretisch kann man aus den Daten eines Menschen ein Programm aufsetzen, mit dem sich andere Menschen unterhalten können.

Ein zweites Leben als Chatbot

Startups, die das anbieten, sind Teil einer Industrie, die der Wissenschaftler vom Oxford Internet Institute als „Digital After-Life-Industry“ bezeichnet, einer Industrie, die sich auf Services rund um den digitalen Tod spezialisieren. Darunter fallen unterschiedliche Technologien, wie zum Beispiel die Möglichkeit ein Facebook-Profil in den Gedenkzustand zu versetzen, aber eben auch die sogenannten Re-Creation Services. Start-ups, wie Eterni.me oder Eter9, die eine Art digitale Unsterblichkeit versprechen, ein zweites Leben als Chatbot.

Eugenia Kuyda weiß, wie es sich anfühlt, mit einem Toten zu chatten. Vor einigen Jahren starb ihr bester Freund Roman plötzlich bei einem Autounfall. Daraufhin startete sie ein ungewöhnliches Projekt. Kuyda programmierte einen Chatbot, basierend auf ihrer Online-Kommunikation mit Roman. Einen Roman-Bot sozusagen. Dann chattete sie mit ihm, erzählte ihm von ihrem Tag – und der Roman-Bot antwortete. „Er hat mir sehr geholfen, meine Trauer zu verarbeiten“, erzählt sie. Der Chatbot erinnerte sie an ihren Freund. Manchmal seien seine Antworten fast schon unheimlich ähnlich, manchmal aber auch komplett neben der Spur gewesen.

Welche Geheimnisse darf ein Bot wissen?

Doch die Idee, aus der Technik hinter dem Roman-Bot ein Unternehmen zu machen, anderen Menschen anzubieten, ihre Liebsten in Bots zu verwandeln, findet Kuyda problematisch. „Das ist sehr persönlich“, sagt sie. Damit es wirklich gut funktioniert, müsste man viele Entscheidungen treffen – zum Beispiel welche Geheimnisse der Bot über das Leben seines Vorbilds bewahren sollte, was er wem erzählen könnte. „Als Unternehmen können wir diese Entscheidungen nicht für andere Menschen treffen“, sagt sie.

Auch Öhman sieht Probleme darin, die Toten digital wiederzubeleben: „Selbst wenn ein Verwandter stirbt und dir seine Daten hinterlässt, heißt das nicht, dass du mit tun kannst, was immer du willst.“ In Gesetzen festgeschrieben ist das aber bisher nicht wirklich. Die Datenschutz-Grundverordnung beispielsweise schützt die Rechte der Lebenden, ignoriert aber in den meisten Fällen die der Toten.

„In der Philosophie“, sagt Öhman, „sieht man Daten als analog zum physischen Körper an. Sie sind nicht etwas, das man wie ein Auto besitzt, sondern eher etwas, das man ist.“ Auf Tote übertragen würde das bedeuten: Die Daten von Verstorbenen sind eine Art „informationelle Leiche“. Als solche, schlägt Ohman vor, könnte man sich an der Rechtsprechung, wie es sie zum Beispiel bei Organspenden gibt, orientieren.

Wissenschaftler könnten ihre Expertise der Menschheit hinterlassen

Keiner der derzeit aktiven Re-Creation Services wirbt damit, Daten von Verstorbenen in Chatbots zu verwandeln. Sie locken viel eher damit, dass man sich selbst einen digitalen, unsterblichen Zwilling erschafft. Auf diese Weise könnten zukünftig etwa Anwälte ihren Klienten vergünstigt Zugriff auf das Wissen ihres Chatbot-Zwillings geben, stellt sich der Wissenschaftler Hossein Rahnama vor. Brillante Wissenschaftlerinnen, kluge Geschäftsmänner, herausragende Politikerinnen – sie alle könnten ihre Expertise weit über den eigenen Tod hinaus der Menschheit zur Verfügung stellen.

Aber auch da gibt es ethische Bedenken: Diese Art von Chatbots entwickeln sich rasend schnell. Als Nutzer kann man nicht genau wissen, worauf man sich einlässt und wie sich der Chatbot in fünf oder sechs Jahren verändert haben wird, sagt Öhman. Die Firmen sollten deshalb zum Beispiel nicht ihre Technologie durch ein radikales Update verändern, ohne ihre Nutzer darüber zu informieren. „Wenn die Nutzer zu diesem Zeitpunkt aber schon tot sind, sollten sie von radikalen Änderungen absehen“, sagt Öhman.

Virtuelle Freunde als Therapeuten

Er glaubt nicht, dass aus den Re-Creation Services ein großer Markt werden wird. Nur weil etwas technisch möglich sei, bedeute das nicht, dass die Menschen auch bereit dafür seien, sagt der Forscher. Wie wir um die Toten trauern, uns an sie erinnern, das ändert sich nicht einfach so von heute auf Morgen. Menschen die derzeit sterben, wurden meist in den Dreißiger- und Vierzigerjahren geboren. Sie selbst und ihre Angehörigen sind nicht wirklich vertraut mit der Technologie. Aber vielleicht ändert sich das, wenn es in einigen Jahrzehnten Zeit für die heute 30-Jährigen ist, zu sterben. Vielleicht sind Chatbots dann schon ein viel größerer Teil unseres Alltags geworden.

Eugenia Kuyda könnte einen Beitrag dazu leisten. Ihr Roman-Bot sorgte für viel Aufmerksamkeit, Tausende Menschen wollten mit ihm chatten, über ihre Probleme reden. „Viele Menschen nutzen ihn fast schon als Therapie“, sagt Kuyda. Daraus wuchs die Idee für ihr aktuelles Unternehmen: „Replika“ ist eine App, bei der man sich mit einem virtuellen Freund unterhält, um so das eigene seelische Wohlbefinden zu verbessern. Im Laufe der Konversationen lernt die künstliche Intelligenz mehr und mehr über die Person, mit der sie spricht – „aber sie ist nicht dazu da, zu ihr zu werden“, sagt Kuyda.

Von Anna Schughart


Über den Autor/die Autorin:

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