Brand New Bundestag: „Ganz viele Leute kommen in der Politik nicht vor“
Als junger Mensch fühlt man sich von der Politik schnell erschlagen. Dem will die Organisation Brand New Bundestag etwas entgegensetzen – gerade angesichts der anstehenden Europawahl. Ein Gespräch mit Clara Ludwig über alles, was junge Menschen gerade umtreibt – und auch darüber, wie man nicht den Kopf in den Sand steckt.
Clara, was wollt ihr gerade in der deutschen Politik verändern?
Unser großes Ziel ist es, dass die Parlamente in Deutschland unsere gesamte Gesellschaft repräsentieren, was aktuell nicht der Fall ist. Das heißt, ganz viele Leute, die Teil unserer Gesellschaft sind, kommen im Parlament und in der Politik nicht vor und werden nicht ausreichend repräsentiert. Das sind zum Beispiel weibliche oder nicht-binäre* Personen, Menschen mit einer Migrationsbiografie oder Personen ohne akademischen Abschluss. Unser Ziel ist es, dass solche Menschen mehr Chancen haben, in Parlamente einzuziehen, und diese genauso vielfältig werden, wie unsere Gesellschaft es ist. Außerdem versuchen wir, Lösungen für die aktuellen und drängenden Probleme zu finden. Dafür setzen wir auf überparteiliche Zusammenarbeit.
Zur Person
Clara Ludwig ist 31 Jahre alt, lebt in Berlin und ist als Coordinator Communication & Marketing bei Brand New Bundestag aktiv.
Bei der Europawahl dürfen das erste Mal auch Menschen ab 16 mitwählen. Was bedeutet das für euch? Berücksichtigt ihr junge Menschen speziell in eurem Campaigning?
Wir richten uns ohnehin mit unserer Kommunikation an junge Menschen und haben das Ziel, dass mehr junge Menschen in die Politik gehen und sich politisch engagieren. Somit wird es auch für die Europawahl-Kampagne auf jeden Fall eine Rolle spielen, auch die jungen Erstwählenden anzusprechen.
Zur Organisation
Brand New Bundestag (BNB) ist eine unabhängige überparteiliche Graswurzelorganisation, die sich seit etwa fünf Jahren für zukunftsorientierte Politik einsetzt. Die NGO unterstützt Menschen in ihrem Wahlkampf, die mit progressiven Ideen in ein Parlament einziehen wollen. Außerdem vernetzt Brand New Bundestag parteiübergreifend Personen, die bereits in der Politik tätig sind, zusammen mit der Zivilgesellschaft für gemeinsame politische Aktionen. Unterstützt werden ihre Aktionen von Hunderten Freiwilligen. Als Volunteer kann man sich in Bereichen wie Political Strategy, Community Management oder Kommunikation einbringen. Vorerfahrungen sind nicht nötig, eine Altersgrenze gibt es auch nicht, weder nach oben noch nach unten. Allerdings handelt es sich bei BNB um ein eher junges Team.
Baden-Württemberg hat zum Beispiel eine Bildungskampagne für Erstwählende und junge Menschen gestartet. Glaubt ihr, das könnte man in ganz Deutschland gebrauchen?
Ja. Ich glaube, dass es das stärker geben sollte, und zwar auf ganz vielen Ebenen. Solche Kampagnen können helfen, die Leute überhaupt darauf aufmerksam zu machen, dass man wahlberechtigt ist. Ich glaube, dass politische Bildung auch an Schulen eine größere Rolle spielen sollte. Ich glaube aber auch, wenn mehr junge Menschen in der Politik sichtbar wären, hätte das natürlich einen Einfluss darauf, dass mehr junge Menschen motiviert werden zu wählen, weil sie sich dann stärker vertreten sehen.
Werden junge Menschen bei dieser Wahl durch die Kandidierenden genug repräsentiert?
Im aktuellen EU-Parlament ist das leider noch nicht der Fall. Das durchschnittliche Alter der EU-Parlamentarier liegt bei 49,5 Jahren. Da ist auf jeden Fall noch Handlungsbedarf, dass auch junge Menschen stärker vorkommen.
Bei der Europawahl können alle EU-Bürger für die nächsten fünf Jahre neue Volksvertretungen bestimmen. In Deutschland wird am 9. Juni gewählt. Jeder deutsche Staatsbürger ab 16 Jahren ist wahlberechtigt.
Gibt es Kandidierende für die Europawahl, die ihr unterstützt und die man unbedingt kennen sollte?
Mit unserer „EU Future 100“-Kampagne unterstützen wir parteiübergreifend 100 Kandidierende aus zehn unterschiedlichen Ländern, die sich mutig, innovativ und zukunftsgerichtet den drängenden Problemen der Zeit im EU-Parlament widmen wollen. Darunter sind sehr viele junge Personen. Für Deutschland unter anderem Sabrina Repp von der SPD aus Mecklenburg-Vorpommern (25 Jahre), Janina Singh von den Grünen aus Nordrhein-Westfalen (29 Jahre), Phil Hackemann von der FDP in Bayern (29 Jahre) und Cornelius Golembiewski von der CDU in Thüringen (31 Jahre). Alles junge und motivierte Politiker und Politikerinnen, die frischen Wind ins EU-Parlament bringen wollen und insbesondere die Interessen junger Menschen vertreten. Mehr zu den Kandidierenden erfährt man auch auf unserer Kampagnenseite oder unseren Social-Media-Kanälen.
Seht ihr besonders wichtige Aspekte für diese Europawahl, die auf jeden Fall thematisiert werden müssen oder in Zukunft im EU-Parlament stärker thematisiert werden sollen?
Wenn wir den Blick auf junge Menschen richten, gibt es ganz viele Themen, die sie betreffen und EU-Entscheidungsgrundlagen sind. Themen wie Digitalisierung, die europäische Klimapolitik, Mobilität, Ausbildung und Studium in der EU. Die EU und ihre Entscheidungen sind einfach sehr wichtig. Sie entscheidet zum Beispiel auch über humanitäre Hilfe, was in unserem Zeitalter der multiplen Krisen auch ein enorm wichtiges Thema ist, das viele von uns umtreibt.
Bekommt ihr mit, dass es eine grundsätzliche Zukunftsangst bei jungen Menschen gibt?
Ich glaube, es gibt ganz viele Themen und Sorgen, die junge Menschen heute sehr umtreiben. Auch ein gewisses Lähmungsgefühl ist definitiv vorhanden, wenn zum Beispiel alles viel langsamer vorangeht, als Leute von Fridays for Future und Co. fordern. Ich würde aber auch sagen, dass das auch ein Motor für junge Leute ist, sich zu engagieren und zu sagen: Ich will auf dieser Zukunftsangst nicht sitzen bleiben. Das merken wir auch ganz stark bei unseren Volunteers.
In Deutschland wird ein zunehmender Rechtsruck befürchtet. Glaubt ihr, es besteht die Gefahr, dass sich das auch bei den Wahlen zum EU-Parlament abzeichnet?
Die Gefahr müssen wir uns auf jeden Fall alle vergegenwärtigen. Auch wenn wir uns die Politik in anderen Ländern anschauen, dann gab es in vielen EU-Ländern einen Rechtsruck in den letzten Jahren. Und auch bei uns schreitet das immer weiter voran. Detailliertere Tendenzen lassen sich schwer voraussagen, aber diese Entwicklungen müssen auf jeden Fall weiter beobachtet werden, denn das Risiko ist auch auf EU-Ebene absolut vorhanden.
Können junge Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme denn einen Unterschied machen?
Jede Stimme kann immer einen Unterschied machen. Es kommt auf die Summe an. Außerdem muss man sich das Privileg, wählen gehen zu dürfen, vergegenwärtigen. Hier in Deutschland leben so viele Menschen als Teil unserer Gesellschaft, die nicht wählen dürfen. Auch wenn es sich vielleicht nicht groß oder wichtig anfühlt, sein Kreuz zu machen, ist es total entscheidend.
Vor der vergangenen Europawahl hat Rezo sein „Zerstörung der CDU“-Video veröffentlicht. Muss diesmal noch irgendwer vorher zerstört werden?
Na ja, die AfD stellt natürlich eine enorme Gefahr für unsere Demokratie dar. Die Correctiv-Recherche Anfang des Jahres war dahingehend ja noch mal sehr augenöffnend. Und die AfD spielt natürlich auch auf EU-Ebene eine Rolle. Wir sollten uns deswegen alle klarmachen, wie wichtig es ist, demokratische Parteien zu wählen und unsere Stimme zu nutzen.
Interview von Jennifer Kramer
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