Basic, Mainstream und überbewertet? Ein Plädoyer für Taylor Swift und ihre Fans
Bei der Musik von Taylor Swift scheiden sich die Geister: Als überbewertet beschreiben die einen ihre Songs, andere vergleichen ihr Talent mit Shakespeare. MADS-Autorin Luise erklärt, warum die Pop-Ikone für sie eher brillant als basic ist.
Jedes Jahr warten Spotify-nutzende Musikfans auf „Spotify Wrapped“, ihren personalisierten Musikrückblick. 2023 sah das bei mir so aus: 28.245 Minuten habe ich gehört. Meine Top-Künstlerin war Taylor Swift, und meine fünf Top-Songs waren ebenfalls von ihr. Ganz oben auf der Liste stand ihr Song „You’re on Your Own, Kid“. „From sprinklers splashes to fireplace ashes“, also vom Sommer bis zum Winter, wie die Pop-Ikone darin so schön singt, haben mich ihre Songs begleitet. Für mich sind ihre elf Alben ein Zuhause und ihre Person ein Idol.
Literarische Songtexte mit Lebensratschlägen
Es war einmal ein zehnjähriges Mädchen, das in ihrer Freizeit jeden Mittwoch zum Kindertanzen ging. Eines Tages drang ein neues, unbekanntes Lied aus den Lautsprechern in der Turnhalle. Dieses Lied war „Shake It off“ von Swift, das später als „Song of the Year“ bei den „iHeartRadio Music Awards 2015“ ausgezeichnet wurde. Das junge Mädchen, das von da an auch in ihrem Kinderzimmer zu dem Hit tanzte, war ich.
„Shake It off“ ist heute nicht mehr mein Lieblingssong. Diese Ehre gebührt dem bereits erwähnten „You‘re on Your Own, Kid“ von dem 2022 erschienen Album „Midnights“. Aber ich werde „Shake It off“ immer mit dieser Erinnerung verbinden, wie ich Arme und Beine beim Tanzen in die Luft warf. Genauso verbinde ich den Song „Lover“ mit einem Picknick mit Freundinnen am See und das Lied „Fifteen“ mit einer langen Busfahrt. „Cause when you’re fifteen and somebody tells you they love you, you‘re gonna believe them“, schallte es da aus meinen Kopfhörern. Aber: „Don‘t forget to look before you fall.“
Einen „Life Lesson“ hat Taylor Swift in diesem Lied verpackt. Davon verbergen sich viele in den Songs der 34-jährigen: „Never be so kind you forget to be clever“, „If you never bleed, you‘re never gonna grow“ oder „Sometimes giving up is the strong thing“. Swifts Musik zu hören bedeutet für mich nicht nur, sie wahrzunehmen. Ihre Musik zu hören bedeutet für mich zuzuhören. Denn hinter ihren Liedern verbergen sich literarische Meisterwerke. Sogar die Literaturprofessorin Elly McCausland von der Universität Gent in Belgien bietet einen Kurs mit dem Titel „Literatur: Taylor’s Version“ an, in dem sie Swifts Texte mit klassischen Werken von Charlotte Brontë und William Shakespeare vergleicht.
Taylor Swift: Musik zum Mitfühlen
Jeden ihrer Songs habe ich beim Hören schon einmal gefühlt und dabei Schmerz, Liebe oder Selbstbewusstsein empfunden. Und diese Wirkung verstärkte sich für mich, als ich die Person hinter dem Mikrofon kennenlernte – nicht persönlich, versteht sich. Ich finde es beeindruckend, dass Swift in ihrem Song „The Man“ der Gesellschaft einen Spiegel vorhält, indem sie hinterfragt, ob ihre Karriere und ihr Erfolg anders wahrgenommen würden, wäre sie ein Mann. Ich mag es, dass sie sich in ihrem Song „You Need To Calm Down“ für die Rechte der LGBTQ+-Community einsetzt. Ich mag es, wenn Musik nicht nur schön klingt, sondern Tiefe besitzt. Und ich mag es, wenn Musik vereint: 283 Millionen Follower hat die Sängerin auf Instagram — mich eingeschlossen. Ich bin ein Swiftie. Und ich bin gern Swiftie, wenn das bedeutet, Freundschaftsarmbänder für Konzerte zu fädeln und Songtexte zu interpretieren. Für mich bedeutet das Freundschaft. Ein Gefühl, das ich verspürt habe, als ich bei der „Eras Tour“ in Amsterdam andere Fans für ihr Outfits komplimentierte oder gemeinsam mit einer Mutter und ihrer Tochter tanzte.
Ist Taylor Swift überbewertet?
Was ist also, ganz sachlich gesehen, dran an der Kritik, Taylor Swift sei basic, Mainstream oder sogar überbewertet? Richtig ist zunächst einmal, dass Musikgeschmäcker unterschiedlich sein können. Auch ist ihre Musik massentauglich, das beweisen die Charts und ihre unfassbar erfolgreiche Welttour. Spätestens seitdem Swifts Fans dafür bekannt sind, auf ihrer Tour kleine Erdbeben auszulösen, zweifelt daran wohl niemand mehr. Und doch wäre ihr Erfolg nicht möglich gewesen, wenn ihre Musik keine Qualitäten hätte — das sage nicht nur ich, sondern auch Ralf von Appen, Leiter des Instituts für Popularmusik an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Das wiederum widerspricht der These, Swifts Musik sei überbewertet.
Für mich jedenfalls kann sie gar nicht überbewertet werden. Swifts Musik lässt mich etwas fühlen und spendet mir Trost. Dank ihrer Musik habe ich neue Freundschaften gefunden und Erfahrungen gesammelt. Taylor Swift wird also auch in diesem Jahr auf dem ersten Platz meines „Spotify Wrapped“-Jahresrückblicks stehen.
Von Luise Moormann
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