Hilfe auf Samos: „Ich habe gelernt, wie unfair und brutal die Welt sein kann“
Regelmäßig stellen wir Jugendliche vor, die im Ausland leben und lernen. Jonathan (20) erzählt, was er bei seiner Freiwilligenarbeit für Geflüchtete auf den griechischen Inseln Samos und Lesbos erlebt hat.
„Brände im Flüchtlingslager auf Samos“: Was für viele hierzulande womöglich nur eine Schlagzeile war, war für mich ein großer Schock. Ich hatte Angst um die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet hatte – sowohl Geflüchtete als auch Freiwillige vor Ort. Kurz zuvor war ich aus Griechenland zurückgekehrt, ich hatte für zweieinhalb Monate auf Samos und Lesbos für Hilfsorganisationen gearbeitet. Dort hatte ich die turbulenteste und sicher heftigste Zeit meines Lebens.
Samos: Gewalt gegen Geflüchtete an der Grenze
Zwei Monate habe ich auf der Insel Samos gearbeitet, danach einige Wochen auf Lesbos. Den Freiwilligeneinsatz hatte ich selbst organisiert und mich online bei verschiedenen NGOs beworben. Schließlich kam die Zusage von Refugee4Refugees. Hauptsächlich kümmerte sich unser Team auf Samos um die Menschen, die neu dort eintrafen. Wir waren für die erste Versorgung zuständig.
Aus einer Art Shop verteilten wir etwa Zelte, Kleidung und Wasserbehälter, aber auch Windeln und Babynahrung an die Geflüchteten. Wenn Frauen in den Shop kamen um Kleidung auszusuchen, habe ich sie begrüßt und in unser System eingecheckt. Mit unbegleiteten männlichen Minderjährigen durfte ich auch selbst herumgehen und ihnen helfen die richtige Kleidung zu finden. Einige der Campbewohner unterstützten uns bei unserer Arbeit und übersetzten zum Beispiel für uns.
Was meine Freunde in Deutschland nur aus den Medien mitbekamen, erlebte ich vor Ort: Als ich gerade fünf Wochen auf Samos gearbeitet hatte, öffnete die Türkei ihre Grenzen zur EU. Immer mehr Menschen strömten auch in das ohnehin überfüllte Lager auf Samos. Wir Freiwilligen waren verstört und hilflos angesichts der Gewalt, die Küstenwache und Grenzschutz gegen die Flüchtlinge anwendeten. Ich selbst habe gesehen, wie sie sogar Kleinkinder als illegale Einwanderer in einen Gefängnistrakt auf Samos sperrten.
Extremzustände in den Lagern
Es kam noch schlimmer, als die Corona-Pandemie Griechenland erreichte. Nur unter sehr strengen Auflagen durften wir auf Samos weiterarbeiten. Bald folgten Kontaktsperren und Bewegungseinschränkungen. Was für meine Freunde in Deutschland hieß, sich erstmal nur noch digital zu treffen und nicht mehr ins Café oder Kino zu können, wurde für die Flüchtlinge lebensbedrohlich.
Militär und Polizei riegelten das überfüllte Camp auf Samos komplett ab. Die Kontaktbeschränkung ist dort kaum umzusetzen, momentan leben im Camp knapp 7000 Menschen – zehnmal mehr, als eigentlich Platz hätten. Dadurch verbreiten sich Krankheiten besonders schnell. Denn auch an der Hygiene mangelt es in den Camps: Im Lager Moria auf Lesbos etwa gibt es nur rund 15 Wasserhähne für etwa 20.000 Bewohner.
Nach zweieinhalb Monaten Hilfsarbeit unter diesen Umständen war ich mit meinen Kräften am Ende. Schweren Herzens reiste ich zurück nach Deutschland – die Geflüchteten haben diese Option nicht. Das zeigte mir noch einmal, wie unfair und brutal diese Welt sein kann. Es bleibt kaum vorstellbar, wie kräftezehrend die Zeit im Camp für die Geflüchteten sein muss; eine Zeit, die ja nur ein Teil ihrer Flucht ist. Um auf die Missstände hinzuweisen und auf die Lage der Flüchtlinge aufmerksam zu machen, will ich in Deutschland davon erzählen.
„Wir sollten Geflüchteten ein sicheres Zuhause bieten“
Als die Brände im Camp wüteten, musste ich sofort an meine Bekannten aus der Zeit auf den Inseln denken. Glücklicherweise sind alle, die ich persönlich kenne, unverletzt. Im Lager auf Samos gab es keine Todesopfer. Aber 500 Menschen dort haben durch das Feuer alles verloren, was ihnen noch blieb. Polizei und Feuerwehr vor Ort vermuten, dass die Flüchtlinge aus dem Camp die Feuer selbst gelegt haben, um die Behörden zu zwingen, sie aus dem Lager herauszuholen. Sie sahen anscheinend keinen anderen Weg mehr, um ihrer furchtbaren Lage zu entkommen.
Wer helfen will, kann spenden. Ob Klamotten, Spielzeug, Hygieneartikel, Medizin, Geld. Auch immaterielle Unterstützung ist gefragt: Wir sollten mehr Solidarität zeigen, Nachrichten teilen, politisch aktiv werden und anderen davon erzählen. Und jene Menschen, die nach der beschwerlichen Flucht aus ihrer Heimat in Deutschland ankommen, hier willkommen heißen und ihnen ein neues und sicheres Zuhause bieten. Wir haben das ja auch nur, weil wir Glück in der Geburtslotterie hatten.
Aufgezeichnet von Greta Friedrich
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