Jung, hoffnungsvoll, wahlberechtigt: Was versprechen sich Erstwählende von der Europawahl?
Dieses Jahr dürfen zum ersten Mal bundesweit 16-Jährige an der Europawahl teilnehmen, also Einfluss nehmen und Verantwortung übernehmen. Einige Erstwählende haben ihre Emotionen und Gedanken mit MADS geteilt. Was bedeutet es für sie, nun wahlberechtigt zu sein?
Chance auf Teilhabe: Sandra, 18, Schülerin und MADS-Autorin
Sandra ist 18 Jahre alt und Erstwählerin bei der Europawahl. Sie kritisiert, dass junge Menschen oft allein gelassen und nicht ausreichend informiert werden.
Ich werde wählen. Aber den meisten würde es leichter fallen, käme da ein Brief per Post, der genau zeigt, wie es geht. Stand jetzt liegt es in unserem eigenen Interesse und unserer eigenen Verantwortung, uns genügend zu informieren. Dabei sollten gerade junge Erstwählende damit nicht alleingelassen, sondern an das Thema herangeführt werden. Nur so ist eine starke Wahlbeteiligung unter jungen Menschen möglich. Die Senkung des Mindestwahlalters sehe ich trotz des hohen Rechtsrucks unter jungen Menschen als eine große Chance. Auch, um den politischen Fokus auf die Bedürfnisse, Ziele und Erwartungen der jungen Bevölkerung zu lenken. Ich sehe das Wahlrecht auch als eine gesellschaftliche Pflicht.
Was mir aber als Erstwählende vor allem in Hinblick auf wenig politisch interessierte Personen fehlt, ist ein einfacher Zugang zu Informationen über den Wahlvorgang. Wenn wir doch augenscheinlich eine junge Wählerschaft gewinnen wollen, warum kommen wir nicht zu den jungen Menschen, von denen unsere Zukunft abhängt? Warum gibt es kein politisches Gremium, das Erstwählende neutral, transparent und einfach zugänglich über die Europawahl informiert?
Von Sandra Kopa
Endlich wahlberechtigt: Krstina, 28, Studentin
8,7 Millionen Menschen durften bei der Bundestagswahl 2021 nicht mitwählen, weil sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Krstina gehörte nicht dazu – aber nur knapp. Denn lange Zeit besaß auch die Berliner Studentin nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, obwohl sie hier geboren ist.
Ich bin erst seit Januar 2021 deutsche Staatsbürgerin, obwohl ich im Rheinland geboren wurde und mein ganzes Leben in Deutschland verbracht habe. Meine erste Wahl war die Bundestagswahl 2021, das jetzt wird meine erste Europawahl. Diese Form der Teilhabe, wenn auch auf niedrigstem Level, ist mir sehr wichtig. Es ist ein Gefühl von Selbstbestimmung, wenn man nicht mehr nur Fremdherrschaft ausgesetzt ist, sondern auch aktiv selbst entscheiden kann. Ich bin seitdem auch jedes Mal Wahlhelferin. Eine Wahl ist die Grundlage der Demokratie und nur durch die vielen Helfer und Helferinnen überhaupt möglich.
Ich halte es aber nicht für richtig, das Wahlrecht eines Menschen in Deutschland von der Staatsangehörigkeit abhängig zu machen. Die Bedingungen, welche über die Wahlberechtigung bestimmen, müssen neu definiert werden. Beispielsweise durch den Geburtsort oder auch die Zeit, die die Betroffenen ihren Lebensmittelpunkt schon in Deutschland haben.
Ich sehe den Staat auch in der Verantwortung, hier zu reformieren. „Nicht-wahlberechtige Personen“ also zum Beispiel nachfolgende Generationen von Gastarbeitern und -arbeiterinnen sind Teil deutscher Geschichte und machen heute unsere Gesellschaft aus. Ihnen das Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen ist nicht nur ignorant, sondern auch diskriminierend. Es braucht mehr als die aktuell geplanten Lockerungen, sodass aus „Gästen“ Mitglieder der deutschen Demokratie werden.
Aufgezeichnet von Jennifer Kramer
Europawahl aus den Staaten: Frida, 17, Schülerin im Austauschjahr
Frida ist 17 Jahre alt und verbringt gerade ein Auslandsjahr in Texas in den USA. Wie mehr als ein Viertel der Teilnehmenden der letzten Europaparlamentswahl hat sie Briefwahlunterlagen beantragt, um ihre Stimme abgeben zu können.
Die Briefwahl war etwas verwirrend, weil ich zwischenzeitlich drei verschiedene Umschläge in der Hand hatte. Die klare Beschriftung der Umschläge hat aber geholfen. Den Antrag zur Briefwahl zu stellen war dagegen sehr einfach. Es ist mir sehr wichtig, wenn ich es auch jetzt vom anderen Ende der Welt tue, an dieser Wahl teilzuhaben. Denn auch, wenn mir die großen Proteste gegen die AfD Mut machen, möchte ich mich doch klar gegen rechts und für Klimaschutz, geflüchtete und queere Menschen positionieren.
Mein Auslandsjahr in den USA hat mir vor Augen geführt, wie wichtig eine vielfältige Parteienlandschaft ist, und mich dadurch in meiner Meinung bestärkt, dass das Multi-Parteien-System das bessere ist. Ich habe hier die teilweise enorme gesellschaftliche Spaltung erlebt, die durch das amerikanische Zwei-Parteien-System hervorgerufen wird. Man ist entweder auf der einen oder anderen Seite, und das beeinflusst auch Freundschaften und andere soziale Beziehungen. Ich war zum Beispiel sehr erleichtert, als ich herausgefunden habe, dass meine Gastfamilie nicht Donald Trump unterstützt. Vor dessen möglicher Wiederwahl im November habe ich wirklich Angst. Mit meinen amerikanischen Freundinnen und Freunden diskutiere ich dagegen kaum über Politik. Das Thema interessiert mich zwar, aber es ist mir ein mögliches Ende oder zumindest eine deutliche Veränderung der Freundschaft einfach nicht wert. Ich finde, auch in Deutschland kann man langsam eine solche Polarisierung beobachten.
Aufgezeichnet von Sophie Gaedke
Politisch interessiert: Hendrik, 17, Schüler und MADS-Autor
Hendrik ist ein Erstwähler, der erst durch das Wahlrecht ab 16 an dieser Wahl teilnehmen konnte. Er befürwortet das ausdrücklich, gibt allerdings zu bedenken, dass es für junge Wählende mehr niedrigschwellige Bildungsangebote braucht.
Da ich ein politisch interessierter Mensch bin, mache ich den Wahl-O-Mat, achte bewusst auf Wahlwerbespots und schaue auch mal in das eine oder andere Wahlprogramm. Das ist meine Realität. Die Realität eines privilegierten jungen Menschen, der genug Zeit und Interesse hat, sich mit Politik zu beschäftigen, sodass er sich jetzt angemessen auf die Europawahl vorbereitet fühlt.
Ich bin mir sicher, ganz vielen Erstwählenden geht es nicht so. Sie wissen nicht, dass es beispielsweise keine 5-Prozent-Hürde für diese Wahl gibt, Stimmen gerade für Kleinstparteien also viel mehr bewirken können. Sie kennen – wie die allerwenigsten Menschen – die vielen Namen nicht, die auf dem Wahlzettel stehen. Der einzige Ort, an dem alle Jugendlichen sein müssen, ist die Schule. Gerade dort müsste man ansetzen und weit mehr über die Wahl informieren, um dafür zu sorgen, dass sich viel mehr Jugendliche gut vorbereitet fühlen. Kein Thema im Politikunterricht ist so wichtig wie Informationen darüber, wie man sein Beteiligungsrecht in der repräsentativen Demokratie nutzen kann – wie Aufklärung zum Wahlrecht.
Ich spreche mich ausdrücklich für ein Wahlrecht ab 16 auf allen politischen Ebenen aus. Aber das erfordert, dass Jugendliche sich auch leicht über die Wahl informieren können. Dabei muss man an niedrigschwelligen Angeboten und Tools wie dem Wahl-O-Mat ansetzen. Es darf nicht sein, dass der Erfolg von Parteien von ihrer Tiktok-Reichweite abhängt.
Von Hendrik Heim
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