Ich trinke keinen Alkohol, na und?
Um keine Spaßbremse zu sein, hat MADS-Autorin Nina oft Alkohol getrunken, der ihr gar nicht schmeckt. Sie erzählt, wie sie den Gruppenzwang überwunden hat.
Die merkt ja gar nichts mehr“, sagte mein Mitschüler lachend und legte seine Hand auf meinen Po. Mehr als ein dümmliches Lachen bekam ich als 16-Jährige nicht zustande, denn er hatte recht: Ich merkte wirklich gar nichts mehr. Stattdessen drehte sich die ganze Welt vor meinen Augen, und ich übergab mich wenig später abseits der Gruppe. Als ich am nächsten Tag aufwachte, schämte ich mich so sehr, dass ich beschloss, kein Glas Alkohol mehr zu trinken. Gelungen ist mir das aber erst jetzt. Sechs Jahre später.
Mein erstes Glas Sekt habe ich mit 14 getrunken. Geschmeckt hat es mir schon damals nicht, und trotzdem trank ich in den vergangenen Jahren viele weitere Gläser. Alkohol am Wochenende gehörte eben zum guten Ton meiner Dorfjugend. Auf dem Pausenhof wurden dann die lustigen Trinkgeschichten ausgepackt.
Schließlich hatte ich einen ganz besonderen Humor, wenn ich getrunken hatte: Ich stolperte, erzählte Blödsinn und brachte die anderen so zum Lachen. Lustig finde ich das heute nicht mehr. Seit Jahresbeginn habe ich keinen Schluck Alkohol mehr zu mir genommen.
„SCHMECKT NICHT“ REICHT NICHT
Spontan ist meine Entscheidung zum Alkoholverzicht nicht gefallen. Bereits in den vergangenen Jahren habe ich mich immer wieder in die Entschuldigung geflüchtet, ich könne nichts trinken, weil ich Auto fahren muss. Die Aussage, dass mir Alkohol eben einfach nicht schmeckt, hat vielen meiner Freunde nicht ausgereicht.
Während eines Abends in einem Restaurant bin ich sogar mit einer Freundin in Streit geraten. Als der Kellner zu uns kam und nach weiteren Getränkewünschen fragte, lehnte ich ab. Doch anstatt meine Entscheidung zu akzeptieren, bestellte meine Freundin mit einem Augenzwinkern ein weiteres Glas Wein. Trotz meiner Proteste saß ich wenig später mit verschränkten Armen vor einem vollen Glas Wein, und meine Freundin rollte nur genervt die Augen.
Gerade jetzt während meines Studiums erlebe ich solche Situationen immer wieder. Kaum bin ich auf einer Party angelangt, drückt mir auch schon jemand eine Flasche Bier in die Hand. Studium und Alkohol gehören für viele scheinbar untrennbar zusammen. „Bei Studierenden ist der regelmäßige Alkoholkonsum am weitesten verbreitet“, heißt es etwa in einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
97 Prozent der befragten Studierenden sagten, schon einmal Alkohol getrunken zu haben. 37 Prozent gaben an, regelmäßig Alkohol zu trinken – bei den Auszubildenden sind es knapp 4 Prozent weniger. Alkohol trinken ist in der deutschen Bevölkerung aber weiterhin weit verbreitet: Im Schnitt trank jeder Deutsche im vergangenen Jahr 94 Liter Bier, wie das Statistische Bundesamt belegt.
ZU LANGWEILIG OHNE ALKOHOL?
Ein Glas Wein abzulehnen ist für mich immer wieder eine Herausforderung. Auch der Gedanke, etwas entspannter, vielleicht auch lustiger zu sein, bleibt verlockend. Gleich die erste Frage, die ich mir stellte, als ich über einen kompletten Alkoholverzicht nachgedacht habe, lautete: Bin ich ohne Alkohol zu langweilig?
Und das ist nicht ungefährlich: „Der Einstieg in die Alkoholsucht beginnt oftmals, wenn der Alkohol funktionalisiert wird“, erklärt Wiebke Bettin, die als Ansprechpartnerin für Suchtberatung für das Diakonische Werk Hannover arbeitet. „Alkohol als Entspannungsmaßnahme zu gebrauchen ist riskant.“ Viele unterschätzten, dass Gruppenzwang unter Studierenden auch in eine Abhängigkeit münden könne, betont sie.
Dass ich langsam immer bewusster auf Alkohol verzichtet habe, stieß in meinem Umfeld auf gespaltene Meinungen. Hin und wieder wird mir immer noch auferlegt, ich müsse bei besonderen Ereignissen trinken. Doch mittlerweile bin ich nicht mehr 16 und habe das Selbstbewusstsein, meine Meinung deutlicher zu vertreten. Und wer die nicht akzeptiert, hat in meinem Freundeskreis eh nichts verloren.
Nina Hoffmann
RENATE SOELLNER IM INTERVIEW: „WENN SIE TRINKEN, DANN VIEL“
Frau Soellner, was haben Sie in Ihrer Forschung zum Suchtverhalten von Studenten an der Uni Hildesheim herausgefunden?
Das Verhalten ist ähnlich zu dem der Normalbevölkerung. Insgesamt kann man aber sagen, dass Studenten eher alkoholaffin sind. 18 Prozent zeigen einen risikohohen Konsum, in einer deutschlandweiten Repräsentativbefragung waren es 15,5 Prozent.
Ab wann gilt man als risikohoch?
Es gibt Empfehlungen von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, und zwar 24 Gramm Alkohol pro Tag bei Männern und zwölf bei Frauen. Das bedeutet: 0,5 bis 0,6 Liter Bier. Wenn man zwei kleine Bier trinkt, dann ist das noch im Rahmen. Bei Frauen reicht schon ein Bier. Oder umgerechnet 0,25 Liter Wein bei Männern – bei Frauen wieder die Hälfte. Alles, was darüber liegt, ist nach der Definition ein riskanter Konsum. Und dann gibt es noch das Bingedrinking: wenn man fünf oder mehr Gläser Alkohol an einem Abend trinkt. Wenn das wiederholt passiert, ist es ein hochriskanter Konsum. Bei unserer Befragung an der Uni Hildesheim haben 53 Prozent angegeben, im vergangenen Monat fünf oder mehr Getränke bei einer Trinkgelegenheit getrunken zu haben. Bei der gesamten Bevölkerung sind es aber genauso viele. Das ist eher ein jugendtypisches Verhalten, das gar nicht unbedingt mit dem Studieren zu tun hat.
Welche Rolle spielt Gruppenzwang bei der Alkoholsucht?
Bei Konsumverhalten an sich gibt es sicher Auswirkungen. Für die befragten Studenten hatte das aber wenig miteinander zu tun. Sie sagten: Wenn sie nicht trinken wollen, müssen sie auch nicht trinken, nur weil die anderen trinken.
Welche Motive gibt es stattdessen?
Alkohol macht locker. Manche sagen, es ist für sie zur Stimmungsregulation gut, also wenn sie in einer schlechten Stimmung sind – das sind aber die wenigsten. Für andere gehört es einfach zum Feiern dazu. Es hat damit zu tun, mal ein bisschen gewollt die Kontrolle zu verlieren und den Uni-Stress hinter sich zu lassen.
Wie unterscheidet sich der Alkoholkonsum von Studenten von dem anderer Gruppen?
Es gibt Studien, die sagen: Studierende sind besonders anfällig und trinken mehr als vergleichbare andere Gruppen, etwa Azubis. Das war früher so, ist aber entsprechend unserer Daten gar nicht mehr so. Da hat sich etwas geändert, denn das Studium ist heute mehr durchgetaktet. Studierende trinken nicht ständig, aber wenn, dann auch viel. Das spricht ja dafür, dass Studenten wissen, wann sie das tun können und wann nicht.
Interview: Nina Hoffmann und Johanna Stein