Voltigieren in MV: Starke Mädchen aus Satow turnen auf galoppierenden Pferden
In MV gibt es gut 450 Voltigierer. Der Sport ist ein Mix aus Ausdauer, Beweglichkeit und Kraft. Vor allem Mädchen und junge Frauen begeistern sich für die Sportart. Wir waren bei einem Training der „Voltis“ aus Satow dabei.
Anna landet hart, aber auf ihren Füßen. „Ich bin aus dem Gleichgewicht gekommen und musste deshalb von ‚Raffaelo‘ abspringen“, erklärt die 23-Jährige. Anna voltigiert und „Raffaelo“ ist ein schwarzes Sportpferd, ein Wallach. Die Landung der Studentin auf dem Boden der Reithalle klang zwar hart und war ganz sicher nicht ganz ohne, aber die kleine durchtrainierte junge Frau meint: „Wir üben das Abspringen und Herunterfallen von den Pferden.“ Die kräftigen Beinmuskeln fingen die Wucht des Aufpralls gut ab. Anna schüttelt kurz ihre Beine aus und lächelt. Trainingsalltag bei den Voltigierern des Satower Reit- und Fahrverein e.V.
Voltigieren ist eine Sportart, bei der die Sportlerinnen (meist sind es Mädchen und Frauen) allein, zu zweit oder in einer Gruppe auf einem Pferd turnen. „Während das Pferd an einer Longe im Kreis läuft, turnt der Voltigierer seine Pflicht und Kür im Schritt oder im Galopp“, erläutert Hennrika Nehls (58), Vorsitzende des Satower Reitvereins. Sie steht auch beim Training an einem Freitag an der Longe – allerdings in der Güstrower Cavallo-Arena, wo die Mannschaft ab und zu, neben einer Halle in der Nähe von Satow, trainiert, weil es in Satow selbst keine Trainingsmöglichkeiten für den Leistungsbereich des sogenannten M-Teams gibt.
Die Trainerin sagt: „Beim Voltigieren braucht man Kraft, Ausdauer, Ausdruck, Balance, Gelenkigkeit, Taktgefühl, Mut, Koordination, Geduld, Körperspannung.“ Was das bedeutet, wird umgehend beim Training deutlich: Akrobatik auf einem schwankenden Untergrund, auf einem Pferderücken.
Jungs und Männer gibt es kaum
„In Mecklenburg-Vorpommern gibt es derzeit 450 Voltigierer“, sagt Hennrika Nehls. Darunter gebe es kaum Jungs oder Männer, die aber gern genommen werden würden. „Denn bei bestimmten Figuren braucht man sehr viel Kraft.“ Doch schlapp ist in der Satower Frauentruppe niemand. „Wir können alle Liegestütze“, bestätigt Nora (21). Und noch viel mehr. Die Gelenkigkeit der acht Mädchen und Frauen ist erstaunlich. Spagat oder Handstand gehört bei ihnen zum Standard. „Drei bis vier Mal pro Woche trainieren wir, auch Kraftübungen und funktionales Training, Jogging oder Training auf einem Holzpferd, um neue Übungen zu testen“, berichtet Nora. Dazu komme individuelles Training zu Hause. „Am schwersten ist beim Voltigieren das lange Halten von Körperspannung – dafür brauchst du eine Menge Konditionskraft.“
In Güstrow folgen die Satower Damen, die alle Ballettschuhe tragen, einem verinnerlichten Ablauf: Abwechselnd laufen sie neben dem im Kreis laufenden Pferd, finden ihren Rhythmus und schwingen sich dann derart gewandt auf das Pferd, wie man es nur aus Indianerfilmen kennt. Es folgen Figuren, wie die „Fahne“, die „Mühle“, die „Bank“ oder die „Schere“ .
Hier sagt man: „Volti“
Elisa probiert gerade einen Flickflack, einen Handstützüberschlag rückwärts, auf dem braunen Wallach „Aperol Spritz“, der so alt ist wie sie. Elisa ist fast 13 Jahre jung und hat wie alle anderen ihr langes Haar zusammengebunden, „damit es beim Training nicht stört“. Seit acht Jahren ist sie ein Volti, wie es kurz hier heißt. „Ich bin durch meine Mutter zum Sport gekommen“, erzählt die Schülerin. Ihrer Mutter, Annette Bera, trainiert ein paar Meter weiter die Gruppe der jüngsten Voltis. „Und ich wurde auch schon von Hennrika Nehls trainiert“, sagt Annette Bera.
Das heißt aber auch, dass die ganze Familie an Wettkampfwochenenden unterwegs ist. Wie im vergangenen November, als die Truppe beim deutschen Pokal in Hessen einen zweiten Platz holte – das beste Ergebnis für den Landesverband MV in dessen Geschichte. Aushängeschild des Nordostens ist übrigens Bundes-Championatskader Alina Ross aus Groß Quassow (Mecklenburgische Seenplatte), die unter anderem bei der Weltmeisterschaft 2021 den siebten Platz belegt hat und Deutsche Meisterin im vergangenen Jahr wurde.
Familiäre Atmosphäre
Elisa beobachtet gerade, wie Anna sich auf „Aperol“ schwingt. „Anna ist unser Muskelpaket“, sagt sie voller Respekt. „Schön ist, dass man in so einem Team neue Freunde kennenlernt.“ Die Kommunikation ist trotz der Altersunterschiede – die Jüngste unter den Fortgeschrittenen ist elf Jahre alt – freundschaftlich und motivierend. „Das geht besser!“, ruft jemand und es klingt lange nicht so martialisch wie auf einem Fußballplatz. Lieblos ist hier gar nichts, eher familiär.
Nach 90 Minuten ist das Training beendet. „Raffaelo“ und „Aperol“ werden gestreichelt, bekommen Abschwitzdecken übergeworfen und naschen Äpfel. Die Anhänger stehen für die gutmütigen Wallache bereit. Im Dunkeln geht es nach Satow zurück, wo sie später noch geputzt, gebürstet und gefüttert werden.
Info: voltigieren-mv.jimdofree.com
Von Klaus Amberger