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Pyrotechnik ist doch ein Verbrechen?

Pyrotechnik ist doch ein Verbrechen?
Foto: Bernd Thissen/dpa

Seit vielen Jahren wird über den Einsatz von Pyrotechnik in Stadien diskutiert – jüngste Ereignisse entfachen die Debatte erneut. Dass das Wort es in die Top Ten zum Jugendwort des Jahres geschafft hat, zeigt, wie präsent es in der Fußball- und Jugendkultur ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Dauerbrennerthema in deutschen Stadien.


Während der Fußballeuropameisterschaft in diesem Sommer in Deutschland wohl niemand am Sprechgesang „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“ vorbeigekommen. In Umgang gebracht hat es der User „Balkon-Ultra“ auf Tiktok, der sich singend auf seinen Balkon stellte und seit 2022 regelmäßig postet. Mittlerweile hört man den Gesang überall, egal ob in Stadien, auf Festivals oder auf dem Schulhof. Sogar in die Nominierung für das Jugendwort des Jahres hat es der Ausdruck geschafft.

Doch was ist dran? Ist Pyrotechnik wirklich „kein Verbrechen“? Trotz hoher Strafen sieht man sie immer wieder: brennende Kurven in den Stadien. Zuletzt wurden etwa beim Spiel des BVB gegen Celtic Glasgow bereits nach wenigen Minuten die roten Lichter der Pyrotechnik entzündet. Auch wenn viele Fans damit ihre Leidenschaft ausdrücken wollen, bleibt Pyrotechnik gefährlich – sowohl für die Zuschauenden und Spieler als auch für diejenigen, die die Fackel anzünden.

Was versteht man unter Pyrotechnik?

Das Wort Pyrotechnik setzt sich aus dem altgriechischen Wort pyr für Feuer und dem deutschen Wort Technik zusammen. Es beschreibt Gegenstände wie Raketen, Feuerwerk und Sprengstoffsätze, die zur gezielten Verbrennung, teils auch Explosion genutzt werden. Auch Licht- und Nebeleffekte zählen dazu. Oft wird Pyrotechnik bei Konzerten oder Festivals eingesetzt, wo sie unter Aufsicht von Fachkräften genutzt wird. Diese sind geschult darin, Risiken zu vermeiden und sich an das Deutsche Sprengstoffgesetz zu halten.

Wie gelangt Pyrotechnik in die Stadien?

Trotz zahlreicher Taschenkontrollen schaffen es Fans immer wieder, Pyrotechnik ins Stadion zu schmuggeln. Das ist oft nicht ungefährlich. In Augsburg ermittelt die Kripo aktuell wegen eines Vorfalls aus dem September. Dort wurden zwei Frauen durch Pyrotechnik beim Spiel FC Augsburg gegen Mainz 05 verletzt. Die Täter zündeten die Leuchtfeuer mit vermummten Gesichtern, um möglichen Konsequenzen direkt zu entgehen.

Der Sicherheitsdienstleister Carsten Klauer erklärt gegenüber dem Nachrichtenportal „Nordbayern“, dass die Personenkontrollen nicht immer leicht durchzuführen seien. „Es gibt Orte am Körper, an denen man etwas verstecken kann, und man wird dort mit ziemlicher Sicherheit nicht kontrolliert“, sagt Klauer. Er vermutet auch, dass Pyrotechnik außerhalb von Veranstaltungen ins Stadion geschmuggelt wird – zum Beispiel an Tagen, an denen kein Spiel stattfindet, weil dann die Sicherheitsvorkehrungen oft weniger streng sind.

Wie steht der DFB zu Pyrotechnik?

Seit der Saison 2018/2019 sind die Strafgelder gestiegen. So waren es 2022/2023 sieben Millionen Euro Strafzahlungen, die der Deutsche Fußballbund (DFB) „wegen gewalttätiger Vorkommnisse im Stadion und Vorfällen aus dem Zuschauerbereich“ verhängte. Trotzdem schrecken die Fans nicht zurück. „Ich denke, die Behörden müssen akzeptieren, dass Pyrotechnik ein Teil der Fußballkultur ist, und es nicht verschwinden wird“, sagt der norwegische Fan Anders Kjellevold gegenüber der „Sportschau“. Der Anhänger der Fanvereinigung „Norsk Supporterallianse“ spricht sich für eine kontrollierte Legalisierung von Pyrotechnik aus. Dieser Vorschlag wurde bereits beim Chemnitzer FC getestet. Auch hier durfte Pyrotechnik unter Aufsicht gezündet werden. Allerdings entschied sich der DFB dazu, das Pilotprojekt wieder einzustellen, „weil es grundsätzlich laut DFB-Statuten verboten ist, Pyrotechnik im Stadion zu zünden und damit eine Legalisierung nicht möglich ist“, wie der Geschäftsstellenleiter der Chemnitzer FC, Tommy Haerder, mitteilte.

Wie handelt die Politik?

Auch in der deutschen Politik wird über den Umgang mit Pyrotechnik diskutiert. Die Grünen stellten bereits im Juli 2019 eine Anfrage über einen „alternativen Umgang mit Pyrotechnik in Fußballstadien“ im Bundestag, um die Aufmerksamkeit der Politik auf das anhaltende Problem zu lenken. Die FDP im Schleswig-Holsteinischen Landtag forderte in einem Antrag im Juli 2024, Ersatzmodelle zu erlauben, statt abzustrafen. Bereits in Dänemark wurden die ersten Ersatzmodelle entwickelt. Die sogenannten kalten Fackeln weisen beim Abbrennen eine niedrigere Temperatur als herkömmliche Pyrotechnik auf und sind sogar kühler als normale Kerzen. Zustimmung erhält die FDP hier von der SPD. Die CDU und die Grünen stehen der Alternative hingegen skeptisch gegenüber, da sie trotz allem ein zu hohes Verletzungsrisiko berge. Der Antrag wurde abgelehnt, und es wird weiterhin mit Geldstrafen gegen Täter vorgegangen.

Auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) erhöht seit den Ausschreitungen beim Niedersachsenderby zwischen Eintracht Braunschweig und Hannover 96 im April 2024 den Druck auf die Profivereine. Leere Fankurven bei Hochrisikospielen sind eine Konsequenz, um die Gewalt im Stadionumfeld einzudämmen. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer schlägt hingegen einen anderen Weg vor, um den Ausschreitungen Einhalt zu gebieten. Er sprach sich gegenüber dem DFB und der DFL für einen Punktabzug als mögliche Bestrafung aus. Mäurer erklärte gegenüber dem „Spiegel“, dass man so „die Vereine deutlich empfindlicher treffen und sie dadurch zu strengeren Eingangskontrollen bewegen“ könne. Er hält Geldstrafen für ineffektiv, da aufgrund der „häufigen Nichtidentifizierbarkeit der Täterinnen und Täter“ keine entsprechende Wirkung erzielt werde.

Von Frieda Hackel


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