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Müde Schüler: Schlafforscher aus Rostock plädiert für „flexible Pubertätsklassen“

Müde Schüler: Schlafforscher aus Rostock plädiert für „flexible Pubertätsklassen“
Foto: dpa

Wissenschaftler sprechen sich für einen späteren Unterrichtsbeginn der oberen Klassenstufen aus. Weil die meisten Jugendlichen in der Pubertät durch das frühe Aufstehen unter einem Schlafdefizit leiden – und das hat Folgen.

Der Unterricht solle später beginnen, meinen Jessica (13) und Oliver (15). Die beiden Teenager sind Schüler am Rostocker Erasmus-Gymnasium. Ihr Unterricht beginnt 7.50 Uhr. „Wenn die Schule später startet, ist man aufnahmefähiger und erholter“, sagt Jessica aus der 8. Klasse. „Später ist man ausgeschlafener und geht stressfreier zum Unterricht“, sagt Oliver aus der 9. Klasse. „Viele Schüler, die es jetzt zeitlich nicht schaffen, morgens etwas zu essen, könnten bei einem späteren Unterrichtsbeginn frühstücken und vielleicht auch noch den Schulstoff festigen.“ Beide sehen allerdings auch einen Nachteil: Wenn es später losgeht, ist auch später Schluss.

Die stellvertretende Schulleiterin des Erasmus-Gymnasium, Kathrin Schröder, sieht es ähnlich: „Ein späterer Schulbeginn wäre von der Planung her kein Problem, weil sich der ganze Ablauf prinzipiell nur um eine Stunde nach hinten verschieben würde.“ Aber die Schüler hätten keine Zeit mehr für außerschulische Aktivitäten, deshalb wäre ein späterer Beginn nicht gut.

„Sozialer Jetlag“

Besonders bei Teenagern verändert sich der Biorhythmus, sagen Wissenschaftler, wie der Rostocker Dr. Alexander Dück, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -pschotherapie sowie Schlafforscher. „Das Gros der Jugendlichen im Alter von 13 bis 20 Jahren kann erst spät einschlafen, muss aber entgegen ihrer inneren Uhr schon früh in der Schule sein“, sagt Dr. Dück. Dadurch entstehe in der Woche ein „sozialer Jetlag“: Die Schüler sitzen in der ersten Stunde im Halbschlaf vor den Lehrern. Während junge Leute in der Woche unter einem Schlafdefizit leiden, kommen sie am Wochenende erst mittags aus dem Bett, da sie den Schlaf nachholen.

„Flexible Pubertätsklassen“

Er gebe eine Vielzahl von Studien und Modellklassen, die sich mit dem Problem befassen, so Dück, der aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht, einen späteren Schulstart, etwa 9 Uhr, oder zumindest eine spätere Tageszeit für Klausuren und Prüfungen ab der Oberstufe befürwortet. „Zu wenig Schlaf bedeutet: weniger Konzentrationsfähigkeit, weniger kognitive Flexibilität, erhöhtes Risiko für die Entwicklung von psychischen Störungen.“ Er plädiert für die Einführung von „flexiblen Pubertätsklassen“.

Schlafforscher Dr. Alexander Dück

„Es ist erwiesen, dass dann die Noten besser werden, da verschiedene Hirnregionen, wie etwa das Arbeitsgedächtnis, besser funktionieren und junge Leute motivierter sind“, sagt der Arzt. Allerdings sieht er ebenso, dass dann Freizeit verloren gehe. „Soziale Aktivitäten ist für die psychosoziale Reifung wichtig.“ Deshalb könne man Früh- und Spätklassen einführen, die es auch schon in Deutschland gebe, aber noch nicht im Nordosten.

Schulen können schon jetzt selbst entscheiden

Eine moderate Verschiebung des Unterrichts wäre ohne großen Aufwand schon jetzt möglich und ist nicht von den Kultusministern abhängig. Denn die Schulen können ihren Unterrichtsbeginn selbst bestimmen – in einem Korridor von 7.30 bis 8.30 Uhr. Eine wichtige Rolle spielt dabei für die Schulen die Schülerbeförderung. „In einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern erfolgt die Schülerbeförderung größtenteils in Verbundsystemen. Dazu werden durch den Träger der Schülerbeförderung vorrangig Schülerbusse eingesetzt, die unterschiedliche Schularten auf dem Schulweg der Schülerinnen und Schüler anfahren“, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium.

Hierbei sei sicherzustellen, dass insbesondere Grundschüler durch einen zu frühen Unterrichtsbeginn nicht überfordert werden. Dabei seien die von den Schülern vor dem Unterricht zurückzulegenden Schulwegzeiten zu berücksichtigen. Auch das Ministerium in Schwerin weiß: Die Verschiebung des Unterrichts nach „hinten“ würde gerade für die Schüler der Sekundastufe II eine Verschiebung des Unterrichtsendes in den späten Nachmittag und frühen Abend bedeuten.Lesen Sie auch

Deutschland ist ein Land der Frühaufsteher

So wie es in anderen europäischen Ländern, wie in Italien, Spanien, Frankreich oder Großbritannien, wo die Schule etwa 9 Uhr startet, wird es wohl in Deutschland alsbald nicht kommen: „Wir sind eine Lerche-Gesellschaft“, meint Schlaf-Experte Dück. Und meint damit: ein Frühaufsteherland. Das ist besonders in der Fläche zu beobachten, wo viele Kinder und Jugendliche bereits vor 6 Uhr aufstehen müssen. „Der Hinweis an Teenager, sie sollten einfach früher ins Bett gehen, sie seien dann ausgeschlafener, nützt wenig, da sie nicht ohne Weiteres früher einschlafen können.“

Von Benito Schweizer und Klaus Amberger (Benito Schweizer ist Schüler einer 10. Klasse in Rostock)

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