Mental-Health-Probleme bei jungen Menschen gestiegen – wie kann das Umfeld helfen?
Jugendliche und junge Erwachsene setzen sich immer selbstverständlicher mit ihrer mentalen Gesundheit auseinander – zugleich steigen die Zahlen der Menschen mit psychischer Belastung. Ein Experte spricht über Missstände, Möglichkeiten und Fettnäpfchen beim Thema Mental Health.
Das Thema mentale Gesundheit hat es in den vergangenen Jahren immer mehr an die Öffentlichkeit geschafft – vor allem dank Betroffener, die über ihre Krankheit sprechen. „Diagnostiziert wurde bei mir vor einigen Jahren eine Depression“, erzählt Julia (Name von der Redaktion geändert). „Ich habe mittlerweile auch andere Symptome, die aber nicht diagnostiziert sind, weil ich keine Therapie mache.“ Unkontrollierte Stimmungsschwankungen und Ängste begleiten ihren Alltag. Das schränkt ihr Leben stark ein, berichtet die 21-Jährige. „Jeden Tag aufs Neue ist es eine Überwindung, mich in den vollen Hörsaal zu setzen, und oft bin ich auch schon nach einigen Minuten wieder gegangen.“
Julia ist damit nicht allein, mit der Pandemie stiegen laut dem Robert Koch-Institut (RKI) mentale Probleme bei jungen Menschen enorm an. Psychische Auffälligkeiten kletterten von 17,6 auf 30,4 Prozent – depressive Symptomatik, Angststörungen und psychische Belastungen nahmen ebenfalls zu.
Mental Health: Tabu-Thema im öffentlichen Diskurs
Für André Lauer sind die steigenden Zahlen von psychischen Problemen nicht nur auf die Pandemie zurückzuführen: Die jüngere Generation sei interessiert, dieses Thema mehr zu beachten – Probleme in der mentalen Gesundheit seien dadurch deutlich erkennbarer geworden. Auch der Trainer und Learning Designer beschäftigt sich viel mit mentaler Gesundheit: In allen seinen Kursen finde seine „Herzensangelegenheit“ Platz, Brücken zu mentaler Gesundheit ließen sich von vielen Themen schlagen.
Trotz aller Fortschritte versteht Lauer Mental Health jedoch noch immer als Tabu-Thema: „Es ist jetzt nicht unbedingt das Thema, worüber man jeden Abend beim Abendessen mit Eltern oder Mitbewohnern sprechen würde. Es gibt mehr Aufmerksamkeit dafür, aber es gibt noch keinen gesellschaftlichen Konsens, dass das total okay ist.“
Grenzen aktueller Beratungsangebote
Weil es immer noch nicht selbstverständlich sei, mentale Probleme zu thematisieren, nehmen laut Lauer Betroffene professionelle Hilfe oft nicht an. Sie hätten Angst, von ihrem Umfeld verurteilt zu werden. Auch seien Angebote nicht barrierefrei genug. „Jede Aktion, die man durchführen muss, um irgendein Angebot zu bekommen, ist ein Hindernis, das es unwahrscheinlicher macht, dass diese Person es auch wahrnimmt.“ Wenn etwa die Beratung in einem Raum stattfindet, der auf dem Campus bekannt dafür ist, würden Betroffene häufig erst gar nicht hingehen. Auch professionelle therapeutische Angebote würden oft ignoriert. Ohne eine niedrigschwellige Aufklärung über Mental Health fühlten sich viele dafür zu unsicher.
Probleme mit Mental Health: Warten auf Therapie
Das größte Problem ist laut Lauer jedoch die lange Wartezeit auf einen Therapieplatz. Viele Menschen müssten akut behandelt werden – bei ihnen riskiere man, dass sich ihr Zustand weiter verschlechtert.
Auch Julia informierte sich über eine erneute Psychotherapie. Sie glaubt, dass eine Therapie ihr helfen könnte, ihre Probleme besser einzuschätzen und zu lernen, damit umzugehen. Der schwierige Weg dorthin schreckte sie aber ab. „Ich habe momentan wenig Kraft, mich dem Stress zu unterziehen, zu vielen Erstgesprächen zu gehen und dann auf einen Platz zu warten.“ Selbst sieht sie sich nicht in einer Notsituation – sie habe über die Zeit gelernt, mit ihren Symptomen umzugehen. Ihr würde es bereits helfen, wenn Institutionen und ihr Umfeld ihre Eigenheiten akzeptieren würden.
Workshop als niedrigschwelliger Ansatz
Um Akzeptanz, Austausch und aktive Gestaltung geht es auch in Lauers Kursen – er betont aber auch, dass diese professionelle Betreuung nicht ersetzen können. Mit dem Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe“ will er bezwecken, dass die Teilnehmenden sich gemeinsam öffnen, um über ihre Mental Health zu sprechen. So könnten sie lernen, dass mentale Probleme für viele Menschen zum Alltag gehören.
Lauer sieht in dieser Erkenntnis den ersten Schritt, sich mit der eigenen mentalen Gesundheit beschäftigen und auf positive Erfahrungen hinarbeiten zu können. Somit wirke seine Arbeit auch präventiv gegen schwerere Verläufe. Um teilzunehmen, müssten Teilnehmende sich jedoch auch bereit fühlen, anderen Menschen ihre Emotionen auszubreiten.
Gutgemeinte Fettnäpfchen
Wer Betroffenen helfen will, kann einiges falsch machen. Wichtig sei, ein vertrauliches Gespräch anzubieten. Dabei solle der Person vermittelt werden, dass ihre Gefühle und psychischen Probleme für viele Menschen normal sind – man brauche sich dann nicht schämen, wenn man Sozialkontakt abbaue oder nicht wie gewohnt funktioniere. Es sei auch hilfreich, Unterstützung anzubieten, um den Alltag zu erleichtern. Lauer rät von Aufforderungen ab, eine Therapie zu beginnen oder alltägliche Routinen zu ändern. „Es ist sehr schwierig, wenn es einem gerade nicht so gut geht, dafür offen zu sein, weil man einfach weiter funktionieren möchte, aber es gerade nicht geht. Deswegen ich würde immer versuchen, möglichst positiv mit den Personen umzugehen, und dafür sorgen, dass sie sich nicht alleine fühlen.“
Eigene Mentale Gesundheit: Was du ausprobieren kannst
Tipps und Tricks für jede und jeden gebe es nach Lauer nicht, da unterschiedliche mentale Probleme auch divers angegangen werden müssten. Für diejenigen, die sich trotzdem selbst einmal aufmerksamer betrachten möchten, hat er dennoch Empfehlungen:
- Frage dich selbst, wie es dir geht und wie gestresst du bist
- Verbrauche deine Energie nicht bis zu deiner Belastungsgrenze
- Mach auch mal Pause
- Priorisiere Fixpunkte, die sich auch ändern lassen (zum Beispiel Noten)
- Versuche, von Dingen abzulassen, die sich nicht ändern lassen
- Lenke dich in deinen Pausen nicht nur ab, sondern beschäftige dich aktiv mit Dingen, die dir erfahrungsgemäß Energie geben
Von Moritz Aaron Tübbecke
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