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„Man geht total überfordert in den Feierabend“: Eine Hebammenstudentin berichtet von ihrem Alltag

„Man geht total überfordert in den Feierabend“: Eine Hebammenstudentin berichtet von ihrem Alltag
Foto: Unsplash/ Christian Bowen

Die ZDFneo-Serie „PUSH“ zeigte im März dieses Jahres den Alltag dreier Hebammen: berührend, authentisch und tabufrei. Zugleich war dieser aber auch von Anstrengung, Überforderung und Stress gezeichnet. MADS-Autorin Sandra spricht nun mit einer Hebammenstudentin über ihre positiven und negativen Erfahrungen im Berufsalltag.


Die Dramaserie „PUSH“ unter der Regie von Katja Benrath begleitet die beiden Hebammen Nalan Arzouni (Mariam Hage) und Anna Koch (Anna Schudt) und die Hebammenstudentin Greta Malinger (Lydia Lehmann) in ihrem beruflichen und privaten Alltag. Dabei wird oft deutlich: Trotz der Erfüllung, die alle drei Hebammen aus ihrem Beruf schöpfen, bleibt am Ende des Tages kaum Zeit für Freizeit, zwischenmenschliche Beziehungen oder jegliche Art von Privatleben.

Zwischen Mensch und Maschine

Plötzliche Kaiserschnitte, komplizierte Beckenendlagen, 24-Stunden-Schichten, Klagen und Nachtanrufe sind Alltag der Hebammen in der Klinik. Während sich Nalan mit ihrem Freund erfolglos um ein Kind bemüht, ist Anna von der Arbeit und den Problemen mit ihrem Ehemann überfordert und greift zu Medikamenten. Greta hingegen, die ihre ersten Tage als Hebammenstudentin auf der Station verbringt, muss sich an das frauenfeindliche und hierarchische System gewöhnen.

Jedoch: Zwischen Momenten, in denen die Frauen wie Maschinen funktionieren müssen, scheinen auch schöne Momente der Dankbarkeit, Erleichterung und des Zusammenhalts unter Frauen durch.

Die junge Hebammenstudentin Sophia, deren Namen wir geändert haben, studiert in Nordrhein-Westfalen im sechsten Fachsemester Hebammenwissenschaften. Auch wenn sie heute voller Überzeugung sagen kann „Ich habe in der Hebammerei meine Berufung gefunden und ich würde das jederzeit wieder machen“, sieht sie den Beruf nicht unkritisch.

Arbeitsalltag von Hebammen

Sophia, in der Serie herrschen starke hierarchische Strukturen. Ist das in der Realität auch so?

Diese Hierarchie existiert schon. Es gibt auf jeden Fall Ober- oder Chefärztinnen und -ärzte, die strenger sind und dieses hierarchische Bild haben. Aber ich habe auch das Gefühl, dass vor allem die fertigen Hebammen und die Ärztinnen und Ärzte
keine so krasse Hierarchie haben. Es gibt viele Ärzte, die supercool mit den Hebammen und den Studierenden umgehen. Ich habe mich häufig mit Ärztinnen richtig gut verstanden. Man duzt sich direkt und sie stellen sich mit Vornamen vor.

Übernimmt man von Beginn an viel Verantwortung oder schaut man erst mal nur zu?

Es entstehen häufig Situationen, in denen man Verantwortung übernimmt, die man eigentlich noch gar nicht übernehmen sollte. Ich erinnere mich vor allem in meinem ersten Semester in der Uniklinik an die Situation, dass ich eine Frau für einen sekundären Kaiserschnitt vorbereiten sollte, der Kaiserschnitt war also nicht geplant. Ich bin reingekommen und habe mich vorgestellt und gesagt, dass ich sie jetzt dafür vorbereite. Und sie schaut mich an und sagt „Wie, ich kriege einen Kaiserschnitt?“ Das ist als Studentin nicht meine Aufgabe, egal in welchem Semester. Es sollte mit der Frau besprochen werden und sie trifft die Entscheidung, nicht die Ärzte und Hebammen.

Was sind deiner Ansicht nach die wichtigsten Eigenschaften einer Hebamme?
Empathie und Verständnis sind für das Zwischenmenschliche essenziell. Wissen und Know-how geben einem Sicherheit sowie das Verständnis und Vertrauen für eine spontane Geburt ohne Interventionen. Also, was Geburt eigentlich wirklich ist und unter welchen Bedingungen man am besten gebärt. Helle Räume und Lichter, viele fremde Leute, Geräusche: Man bekommt von Anfang an einen Zugang und ich habe das Gefühl, die Gebärenden werden eher wie Kranke behandelt, anstatt einfach als Gebärende.

Bei „PUSH“ gehören Überstunden zum Alltag. Ist das bei euch auch so?
Bei uns gehst du in der Regel, wenn deine Schicht vorbei ist. Häufig macht man auch Überstunden, das stimmt schon. Wenn du einen sehr stressigen Dienst und gar keine Zeit hattest, das richtig zu dokumentieren, dann musst du dich nach deiner Schicht hinsetzen und alles dokumentieren. Für die Hebammenstudentinnen sind die Überstunden unbezahlt, wir sollen eigentlich auch keine Überstunden machen.

Wie geht es dir nach einer Schicht in der Uniklinik?
Man geht total überfordert in den Feierabend. Ich verstehe persönlich nicht, wie man Vollzeit in der Uniklinik arbeiten kann. Man hat so krasse Dienste, es ist immer viel zu tun. Man muss als Hebamme eigentlich schon fast ein bisschen abstumpfen, wenn
man da langfristig arbeiten möchte. Das heißt gleichzeitig aber auch: Man wird den Frauen nicht gerecht. Ich finde, das ist sehr überfordernd und belastend.

Die Hebamme Eva Simone Placzek spricht öffentlich von Gewalterfahrungen, die in ihrem Beisein bei der Geburtshilfe passiert sind. Sie bezeichnet sich selbst als Mittäterin und spricht von unbegründeten und übergriffigen Eingriffen und Behandlungen, die sowohl sie als auch die Gebärenden traumatisiert haben. Hast du schon mal ähnliche Erfahrungen im Kreißsaal gemacht?

Psychische und physische Gewalt sind leider kein Einzelfall. Junge Hebammen werden durchaus zu Tätern gemacht: „So, mach das jetzt!“ Und dann ist man in der Hierarchie. Nein zu sagen, ist ein Step, den sich viele Studentinnen und Studenten nicht trauen. Ich bin aus zwei Geburten schon mal rausgegangen, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen soll. Ich wollte mir das nicht weiter angucken und wusste nicht, wie ich der Frau helfen sollte.

Was tust du persönlich dagegen?
Ich schreibe mir regelmäßig selbst Briefe, wenn ich so Situationen habe, wo ich denke: So möchte ich als Hebamme nie werden.

Warum denkst du, kommt es im Kreißsaal zu Gewalt?
Gewalt im Kreißsaal ist auf jeden Fall eine Folge von Überforderung und Druck. Man hat einfach zu viel Arbeit und setzt sich mit der Frage unter Druck „Wie kann ich das vor Gericht vertreten?“

Sind deine Schichten immer stressig und belastend?

Es gibt auch durchaus sehr schöne Dienste, wo man sehr empowert und sehr positiv aus dem Kreißsaal geht und so denkt „Geilster Beruf ever, ich kann mir nichts anderes vorstellen, das ist so cool!“ Mit das schönste war, als ich die erste Geburt selbst geleitet habe. Diese Verantwortung zu übernehmen und zu sagen „So, das ist meine Aufgabe und ich kann das alleine“, das war sehr schön. Es sind aber häufig die Frauen und die Familien, derentwegen ich gerne zur Arbeit gehe. Die sind so unglaublich dankbar und wertschätzend. Von den Paaren kriegt man das richtig zurück.

Von Sandra Kopa


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Über den Autor/die Autorin:

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