Seite auswählen

Werbung

„Man bekommt meistens Unterstützung, wenn man weint“: Eine Psychologin erklärt, warum wir weinen

„Man bekommt meistens Unterstützung, wenn man weint“: Eine Psychologin erklärt, warum wir weinen
Foto: Claudia Wolff/ Unsplash

Ob durch Druck, Angst oder Freude ausgelöst: Das Weinen begegnet uns Menschen immer wieder. Warum wir weinen und was dabei aus psychologischer Perspektive passiert und hilft, erklärt die Diplom-Psychologin Sandra Jankowski im MADS-Interview.


Frau Jankowski, warum weinen wir Menschen?

Da hält die Forschung unterschiedliche Theorien bereit. Das Weinen kann eine Schutzreaktion des Körpers und der Psyche sein und zum Stressabbau sowie zur Entspannung führen. Zudem kann es dem Verarbeiten von emotionalen Eindrücken dienen. Außerdem hat das Weinen natürlich auch die Funktion, die Augen zu befeuchten. So kommt es auch durch Reize und Fremdkörper zu Tränen. Es gibt auch die Theorie, dass es ursprünglich auf Trennungsrufe des Babys zurückzuführen ist, zum Beispiel, wenn es Aufmerksamkeit möchte. Das ist ja etwas, was uns Menschen typisch ist, das Weinen. Das müssen wir nicht unbedingt erlernen. Wir erlernen im Laufe des Lebens nur, wann, also in welchen Situationen, es gesellschaftlich erlaubt ist, zu weinen. Das Weinen ist Teil unseres Sozialverhaltens und unserer Kommunikation, und kann dadurch teils sogar manipulativ eingesetzt werden.

Sandra Jankowski ist Diplom-Psychologin, Heilpraktikerin und Paartherapeutin. Sie arbeitet in ihrer Praxis in Eichwalde nahe Berlin.

Foto: privat

Was bedeutet das Weinen in der Psychologie und wie wird es definiert?

Das Weinen ist in der Psychologie als ein sehr unspezifischer emotionaler Ausdruck definiert. Es kann mit dem Tränenfluss einhergehen und Gefühle wie Schmerz, Trauer, Angst, Ärger, Kränkung, Einsamkeit, Überwältigung, Hilflosigkeit, aber auch Freude ausdrücken. In jedem Fall ist es immer mit starker Gefühlsregung verbunden.

Was passiert beim Weinen in unserem Körper?

Das Einzige, was wissenschaftlich nachgewiesen ist, ist, dass beim Weinen Adrenalin, Endorphine, Oxytocin, Prolaktin und Cortisol ausgeschüttet werden. Bis auf das Oxytocin, das Hormon der Geborgenheit, die Endorphine, die der Schmerzunterdrückung dienen, und das Prolaktin, das eine beruhigende Wirkung hat, wird Adrenalin und Cortisol auch immer bei Stressreaktionen ausgeschüttet. Cortisol und Adrenalin sorgen dafür, dass in der Situation der Blutdruck steigt und der Körper besser mit Sauerstoff versorgt wird. Sodass der Körper in der Lage ist, bei Gefahr wegzurennen oder zu kämpfen. Das Weinen ist Teil einer Stressreaktion. Diese Hormone, gerade das Adrenalin, stimulieren dann auch die Tränendrüse und erzeugt den Tränenfluss.

Hat das Weinen einen positiven Effekt auf die Psyche oder den Körper?

Ja, es gibt sicherlich dieses Gefühl der Erleichterung nach dem Weinen. Aber es muss auch nicht immer sein und es ist nicht der Grund dafür, warum wir weinen. Menschen, die während einer depressiven Episode leiden, fühlen beispielsweise keine Erleichterung nach dem Weinen. Aber man bekommt meistens Unterstützung, wenn andere sehen, dass man weint. Und diese soziale Unterstützung ist meistens eben der Punkt, warum man sich dann auch erleichtert fühlt. Oder vielleicht ist dann tatsächlich die innere Spannung durch diesen Prozess des Weinens irgendwie abgebaut. Das kann auch sein. Hundertprozentig ist es leider bisher nicht erforscht.

Warum ist das Weinen so schambehaftet und wird so negativ assoziiert?

Das ist eine gesellschaftliche, kulturelle Norm. Das ist ja inzwischen im Abbau. Aber früher war es eben so, dass man als starke Persönlichkeit angesehen wurde, wenn man keine Gefühle gezeigt und nicht geweint hat. Diese gesellschaftliche Norm weicht immer mehr auf. So wird zukünftig doch mehr die Stärke darin gesehen, wenn andere ihre Gefühle zeigen.

Wie werden weinende Personen wahrgenommen?

Die Forschung konnte zeigen, dass solche Menschen als warm, ehrlich und verlässlich eingestuft werden. Und eben nicht als schwach oder labil, wie man manchmal denken könnte.

Foto: Ben White/Unsplash

Weinen weiblich sozialisierte Menschen öfter als männlich sozialisierte?

Man hat festgestellt, dass bis zum 13. Lebensjahr Mädchen und Jungen gleich viel weinen. Ab Eintritt der Pubertät gibt es dann den Unterschied: Frauen weinen wohl vier bis fünf Mal so häufig wie Männer. Da sieht man, dass das Weinen durch die Sozialisation, durch das Lernen von Normen und durch das entsprechende Rollenverhalten bei Frauen eher anerzogen und bei Männern aberzogen wird. Es wird eher unwahrscheinlich sein, dass die Gründe zum Weinen für Frauen extrem zunehmen.

Wie sollte man auf weinende Personen reagieren, um ihre Grenzen nicht zu überschreiten?

Es ist aus der Forschung zu prosozialem Verhalten bekannt, dass, wenn Menschen weinen, andere Menschen eine Art Hilflosigkeit erleben, wenn sie nicht wissen, wie sie helfen sollen. Wir fühlen häufig eine Verantwortung für diesen Menschen, der weint. Wenn der Außenstehende in diesem Moment denkt, dass eine Umarmung ihm selbst in der Situation helfen würde, dann tut er das auch bei der anderen Person. Die Hilflosigkeit der nicht weinenden Person führt manchmal dazu, dass man den Hilfesuchenden vielleicht sogar abwertet. Das liegt daran, dass wir die Spannung nicht aushalten können, jemandem nicht helfen zu können. Dann wird derjenige, der Hilfe braucht, mit Sätzen wie „Du bist selbst schuld, dass du jetzt weinst“ persönlich abgewertet. Daher ist es wichtig, dass die außenstehende Person fragt „Was brauchst du jetzt?“ oder „Was kann ich dir Gutes tun?“, bevor sie irgendeine Handlung ausübt.

Von Sandra Kopa


Lies auch:


Über den Autor/die Autorin:

MADS-Team

Unter diesem Namen sammeln wir Beiträge von Gastautorinnen und -autoren, Autorenkollektiven oder freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei MADS. Die Namen des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin stehen unter dem einzelnen Beitrag.

Poste einen Kommentar:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert