Jugend und Demokratie: Wie junge Menschen sich durch Protest einbringen
Corona-Pandemie, Klimakatastrophe, Kriege – die Krisen der vergangenen Jahre haben sich besonders auf junge Menschen und ihre politische Einstellung und Interessen ausgewirkt. Die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ zeigt, dass Jugendliche pessimistisch in die Zukunft blicken. Wie der Protest auf den Straßen in den digitalen Raum kommt.
Inflation und Kriege, hohe Wohnraumpreise, der Klimawandel und die gesellschaftliche Spaltung bereiten jungen Menschen große Sorgen, wie die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ zeigt. Simon Schnetzer, Jugendforscher und Arbeitgebercoach, befragte dafür Menschen zwischen 14 und 29 Jahren. Besonders während der Corona-Pandemie fragten sich viele Jugendliche, ob ihre Stimmen von der Regierung gehört und berücksichtigt werden. Die Herausforderungen, mit denen junge Menschen konfrontiert sind, beeinflussen ihren Alltag und prägen ihr politisches Engagement.
Demokratie lebt von Beteiligung
Politische Partizipation ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Sie bietet Menschen die Möglichkeit, auf Missstände aufmerksam zu machen und aktiv für Veränderungen zu kämpfen. Bewegungen wie Fridays for Future und Black Lives Matter zeigten, wie international vernetzt und engagiert junge Menschen sind. Laut Umfragen und Analysen ist die Jugend zunehmend bereit, Verantwortung zu übernehmen. Jugendliche nehmen die Demokratie selbst in die Hand, indem sie Protestbewegungen ins Leben rufen und an Demonstrationen teilnehmen, die auf soziale Gerechtigkeit, den Klimawandel oder demokratische Werte aufmerksam machen.
Junge Menschen vertrauen der EU und misstrauen der Regierung
Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass junge Erwachsene in Deutschland ein relativ hohes Vertrauen in die Demokratie und die Europäische Union haben – in Zahlen vertrauen 59 Prozent der 18- bis 30-Jährigen der Demokratie. Doch es herrscht weiterhin eine Skepsis gegenüber den zentralen Institutionen der Demokratie. Mehr als die Hälfte der jungen Menschen misstraut demnach der – mittlerweile gescheiterten – Bundesregierung, nur 35 Prozent vertrauen dem Parlament und 60 Prozent stehen den Medien skeptisch gegenüber, obwohl diese in einer Demokratie als Kontrollinstanz der Staatsgewalten fungieren.
Laut der Studie Junges Europa 2024, die von der TUI-Stiftung veröffentlicht wurde, beobachtet jeder zweite Befragte im eigenen Land demokratiefeindliches Verhalten. Diese Untersuchung umfasst 5874 Befragte im Alter von 16 bis 26 Jahren aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen. Die Studie zeigt, dass junge Menschen in Europa die Werte der Europäischen Union schätzen, vor allem die Grundwerte wie Reisefreiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.
Trotz dieser Wertschätzung gibt es einige Herausforderungen. Viele junge Menschen fühlen sich durch die politischen Institutionen nicht ausreichend repräsentiert. Nur etwa 20 Prozent der Befragten sehen sich stark oder sehr stark durch ihr nationales Parlament und das EU-Parlament vertreten. Etwa 40 Prozent beurteilen die Demokratie in ihrem Land als gefährdet und nehmen zunehmende gesellschaftliche Spannungen sowie politische Polarisierung wahr.
Fridays for Future und der Kampf gegen Rechtsextremismus
Ein oft herangezogenes Beispiel für das Engagement der jungen Generation sind die Demonstrationen gegen den Klimawandel. Die Protestbewegung Fridays for Future ist ein Symbol für den Kampf um einen nachhaltigen Planeten und zog weltweit Millionen junge Demonstrierende an. Die Bewältigung der Klimakrise sei die Hauptaufgabe des 21. Jahrhunderts, beschreibt die Organisation. Sie fordert eine Politik, die dieser Aufgabe gerecht wird.
Aber der jungen Generation geht es um mehr als nur um den Kampf gegen die Klimakrise. Das zeigte 2020 die Black-Lives-Matter-Bewegung, und das zeigten zu Beginn dieses Jahres die vielen Demonstrationen gegen rechts.
Rechtsruck und politische Trends innerhalb der Generation Z
Die Studie „Jugend in Deutschland 2024“ zeichnet ein gemischtes Bild von der politischen Orientierung und den Sorgen junger Menschen. Einerseits zeigt sich, dass das politische Interesse deutlich gestiegen ist: 55 Prozent der Jugendlichen bezeichnen sich heute als politisch interessiert. Andererseits wachsen Zukunftsängste und Unsicherheiten, die bei einem Teil der Jugend zu einem Rechtsruck führen.
Jugendforscher Klaus Hurrelmann beobachtet eine sinkende Unterstützung für die Parteien der gescheiterten Ampel-Koalition, während die AfD gezielt junge Menschen auf Social Media anspricht. Besonders auf Tiktok ist die AfD die reichweitenstärkste Partei in Deutschland. Ihre Botschaften erreichen vor allem junge Männer, die etwa zwei Drittel ihrer Wählerschaft ausmachen. Laut der Studie würden 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen mit Parteipräferenz die AfD wählen, wenn jetzt Bundestagswahl wäre – mehr als doppelt so viele wie vor zwei Jahren. Hurrelmann spricht von einem „deutlichen Rechtsruck“ in der jungen Bevölkerung.
Interessanterweise zeigt die aktuelle Shell-Jugendstudie, dass die Selbstpositionierung der Jugend auf einer politischen Skala (1 = links, 11 = rechts, Mittelwert = 6) relativ stabil bleibt. Im Jahr 2024 liegt der Durchschnittswert bei 5,3 – kaum verändert im Vergleich zu 2019 (5,1). Ein „Rechtsruck“ ist hier nicht erkennbar.
Die Verteilung der politischen Selbsteinschätzungen bleibt ebenfalls vielfältig: 14 Prozent der Jugendlichen ordnen sich klar links und 32 Prozent eher links ein, während 26 Prozent sich zur Mitte zählen. 14 Prozent sehen sich eher rechts, und 4 Prozent bezeichnen sich als klar rechts. Nur 10 Prozent der Befragten konnten oder wollten keine Position einnehmen – der niedrigste Wert seit 2002.
Moderne Form des politischen Engagements
Proteste der Generation Z finden nicht nur auf der Straße statt, sondern gelangen ganz selbstverständlich auch in die digitale Welt. Begriffe wie Cyberaktivismus, Online-Aktivismus und Digital Activism beschreiben eine moderne Form des politischen Engagements. Aktivismus bedeutet, sich gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten einzusetzen und politische Veränderungen einzufordern. Digitaler Aktivismus nutzt das Internet, um diese Ziele durch soziale Medien, Blogs oder Petitionen zu erreichen.
Dabei geht es nicht nur um das Teilen von Inhalten, sondern auch um die Bereitstellung von Informationen, die politische Forderungen unterstützen. Ein Beispiel dafür ist die Plattform FragDenStaat, die Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Informationen von staatlichen Behörden ermöglicht.
Das Internet erleichtert es sozialen Bewegungen, Menschen zu mobilisieren und Proteste effizienter zu organisieren – sei es durch Tweets, Posts oder virtuelle Veranstaltungen. Dank dieser neuen Kanäle können selbst kleine Gruppen weltweit Aufmerksamkeit erregen und eine breite Öffentlichkeit erreichen.
Ein neueres Beispiel für Online-Aktivismus sind die Social-Media-Proteste gegen die iranische Regierung, die durch den mutigen Protest einer iranischen Studentin auf ein neues Level gebracht wurden. Sie lief aus Protest gegen die staatlichen Sittenwächter in Unterwäsche durch die Straßen von Teheran. Videos dieser Aktion verbreiteten sich schnell und lösten eine weltweite Welle der Unterstützung aus. Unter dem Hashtag #WomanLifeFreedom setzen Menschen weltweit ein Zeichen für Frauenrechte im Iran. Die Studentin wurde so zu einem Symbol des Widerstands. Im Laufe der vergangenen Monate entwickelte sich Social Media zu einem unverzichtbaren Werkzeug für Aktivistinnen und Aktivisten im Iran und der Diaspora. Über Plattformen wie Instagram, X und Tiktok teilen sie Videos, Berichte und Aufrufe, um internationale Aufmerksamkeit zu schaffen, Druck auf die Regierung auszuüben und für eine Veränderung zu kämpfen.
Von Katja Jalunina
Lies auch: