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„Die Besetzung ist das letzte Mittel“: Ein Erfahrungsbericht aus dem Protestcamp Grünheide

„Die Besetzung ist das letzte Mittel“: Ein Erfahrungsbericht aus dem Protestcamp Grünheide
Foto: Jörg Carstensen/dpa

Wie laufen die Proteste im Camp Grünheide ab – und warum entscheiden sich Menschen überhaupt dazu, an der Besetzung mitzuwirken? MADS-Autorin Olivia hat mit einer teilnehmenden Person gesprochen.


Dieser Erfahrungsbericht entstand aus einem Interview mit einer der Personen, die an der Besetzung in Grünheide beteiligt sind. Die Person möchte anonym bleiben, ist der Redaktion jedoch bekannt:

In der Klimabewegung ist alles oft sehr deprimierend und frustrierend. Man hat das Gefühl, es geht nur darum, dass wir demnächst alle sterben. Man weist immer nur auf Negatives hin, aber es ändert sich nichts. Das ist frustrierend. Bei der Besetzung fand ich cool, dass es einen Raum gibt, in dem man seine Utopien mal richtig ausleben kann. Es war auch echt ein schöner Rahmen, im Wald zu sein – so komplett abgeschottet von diesem Großstadtgewimmel.

Außerdem bin ich hier mit ganz vielen Menschen, die ähnlich denken wie ich und auch die gleichen Ziele haben. Ich habe das mit der Besetzung erst eine Woche, nachdem sie angefangen hat, mitbekommen. Die ganzen anderen Besetzungen wie in Lützerath oder Heibo, die waren mir immer zu weit weg. Aber als ich gecheckt habe, das Grünheide total nah an meinem Wohnort ist, wollte ich da gern hin. Anfangs bin ich da erst mal immer mit ein paar Freundinnen tagsüber hingegangen und nachmittags oder abends zurück. Dann irgendwann habe ich mir gedacht: „Komm ich penne hier.“ Ich habe insgesamt vier Nächte da geschlafen.

Wenn man da schlafen möchte, gibt es Soli-Zelte und natürlich auch die Strukturen (Konstruktionen in den Bäumen, Anmerkung der Redaktion) und Baumhäuser, aber für die muss man echt gut klettern können. Man kann sich auch Isomatten und Schlafsäcke ausleihen, aber ich hatte meinen eigenen Schlafsack und am Ende dann sogar mein eigenes Zelt dabei. Es war sowas von kalt, ich habe total gefroren.

Foto: HMB Media/Uwe Koch

Der Alltag im Protestcamp Grünheide

Ich habe mich immer in die Frühstücksschicht eingetragen. Es war so kalt, dass ich eh um 7.30 Uhr aufgewacht bin, und dann haben wir für alle Frühstück gemacht. Wir haben in so riesigen Töpfen Porridge für alle gekocht und Kaffee gemacht. Um 9 Uhr gab es dann Frühstück, und dann sind auch alle langsam aus den Strukturen geklettert. Um 10 Uhr ist dann Morgenplenum. Da werden die jeweiligen Aufgaben für den Tag verteilt. Also zum Beispiel, wenn noch Strukturen hochgezogen werden müssen. Und auch Schichten wie Abwaschen, Kochen, Spülen.

Dann gibt es im Verlauf des Tages immer wieder Skillshare-Events. Ich fand das ein sehr cooles Konzept, weil das gesamte Wissen dieser Besetzung weitergetragen wird. Es gab zum Beispiel Legal-Skillshares. Dort haben Menschen ihr ganzes Wissen zu den legalen Auflagen einer Besetzung und einer potenziellen Räumung weitergegeben. Ich fand es war auch einfach einen richtig wichtigen Vernetzungsort für die gesamte Klimabewegung und allgemein linke Bewegungen in Deutschland. Es war mega cool zu sehen, wie ein Kollektivwissen aller Beteiligten entstanden ist. Abends gab es dann immer warmes Essen für alle und ein Abendplenum. Danach gab es Konzerte oder Spiele, manchmal wurden auch Filme gezeigt. Es wird jeden Tag mindestens zweimal pleniert, und alles wird geplant und organisiert.

Deshalb protestieren Menschen in Grünheide

In Grünheide soll das Tesla-Werk erweitert werden. Laut RBB will der Autohersteller dafür nun nicht mehr die vorerst angesetzten 100, sondern 47 Hektar an Wald roden, um einen Güterbahnhof zu bauen. Laut dpa stimmte die Mehrheit der Bewohnenden von Grünheide im Februar gegen eine Erweiterung auf neuer Fläche mit Güterbahnhof, für die der Wald gerodet werden müsste. Die Umweltaktivistinnen und -aktivisten nahmen das zum Anlass, den Wald zu besetzen. Sie sollten bereits zum 21. März die Besetzung verlassen, haben allerdings dagegen Widerspruch eingelegt und sind weiterhin vor Ort. Die Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen einen Ausbau des Tesla-Werks aussprechen, haben vor allem Angst vor dem Austritt an Gefahrenstoffen, denn sie nutzen das unter dem Wald liegende Grundwasser. Der RBB berichtet außerdem, dass die Region um Grünheide schon ein Trinkwasserproblem habe, so seien Kitas teilweise nicht mit Trinkwasser zu versorgen. Weiter heißt es, dass Tesla schon seit zwei Jahren zu viel Phosphor und Stickstoff ins Abwasser leite. In hoher Dosis sind die Stoffe für den Menschen gesundheitsschädlich. Gerade deshalb macht eine Erweiterung des Tesla-Werks der Bevölkerung Angst.

Ausweitung der Teslafabrik – trotz Ablehnung aus der Bevölkerung

Der Wald wird immer als Kiefernwald und Monokultur abgestempelt, und dadurch wird gerechtfertigt, ihn zu roden. Aber der wird die ganze Zeit schon aufgeforstet und ist mega schön. Total mit Moos bedeckt. Wie ein Märchenwald, vor allem mit den ganzen Baumhäusern. Wenn du dann Richtung Tesla-Werk läufst, wirkt das irgendwann alles total dystopisch. Der Wald hört von einem auf den anderen Moment einfach auf, und dann steht da so eine riesige Fabrik.

Die Teslafabrik soll um 100 Hektar Wald ausgeweitet und dafür soll der Wald Grünheide abgeholzt werden. Dagegen haben sich die Bürger und Bürgerinnen von Grünheide in einer Umfrage ausgesprochen. Unter dem Wald liegt ein Grundwasserschutzgebiet, aus dem Grünheide Grundwasser bezieht. Das verstößt gegen den Willen der Bevölkerung vor Ort, aber die Umfrage in Grünheide war nicht bindend, weswegen die Organisation „Stoppt Tesla“ sich dann dafür entschieden hat, den Bürgern und Bürgerinnen zu helfen. Diese Rodung wurde über die Köpfe der Bevölkerung hinweg entschieden, und das ist nicht okay.

Die Besetzung ist deswegen das letzte Mittel, mit dem versucht wird, Tesla zu stoppen. Es wurden ja schon verschiedene andere Wege versucht, und die haben alle nichts gebracht. Außerdem sind Besetzungen auch am effektivsten, weil wir vor Ort sind und den Kampf nicht distanziert über Demos führen müssen. Wir können sagen „Wir gehen hier nicht weg“, und bis zur Räumung kann da erst mal niemand so richtig was gegen machen. Durch die Nähe zur Bevölkerung kann ein konstanter Austausch stattfinden, der bei solchen Aktionen wichtig ist. Die Bevölkerung von Grünheide ist auch viel da, unterstützt uns viel. Wenn die Menschen dann unsere Arbeit vor Ort sehen können, neigen sie mehr dazu uns zu unterstützen. Deswegen wäre es auch mega cool, wenn noch mehr Menschen kommen würden.

Aufgezeichnet von Olivia Bodensiek


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Über den Autor/die Autorin:

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