Gamescom Rückblick: Breites Spieleangebot und bessere Organisation
Hunderttausende Besucher strömen jedes Jahr zur Gamescom. In diesem Jahr zeigte sich die Spielemesse besser durchdacht und bot mit der Spielegala zum Auftakt ein echtes Highlight.
Die deutsche Spielebranche hätte sich einen anderen Messestartgewünscht. Zur Eröffnung legte Verkehrsminister Andreas Scheuereinen Eröffnungsrundgang hin, strahlte und zockte für die Kameras. Aber damit fiel der Fokus unweigerlich auf die steckengebliebene Spieleförderung. 50 Millionen Euro wollte die große Koalition jährlich in die Branche investieren, aber im aktuellen Haushalt fehlt das Geld. Scheuers Verkehrsministerium ist zuständig; er beteuerte, um die Summe zu kämpfen. Die Studios haben aber nicht auf einen kämpfenden Verkehrsminister gehofft, sondern auf verbindliche Zusagen.
Autogramme von den Vorbildern: Stars wie du und ich
Ein schöneres Bild zeigte die Gamescom schon am Montagabend. Die Messe ist mit zuletzt 370 000 Besuchern immerhin die größte der Welt, und so bekam sie jetzt die „Opening Night Live“, eine echte Spielegalamit ein paar Neuheiten und mit internationaler Strahlkraft. Die größte Neuheit, das rundenbasierte PC-Strategiespiel „Humankind“, handelt vom Aufbau einer menschlichen Zivilisation. Strategiespiele landen sonst nicht auf der ganz großen Bühne, Action-Spiele erzeugen mehr Aufmerksamkeit. Aber das Genre ist in Deutschland populär. Und Schlange stehen konnten die Besucher zur Gamescom 2019 auch vor den ganz großen Hits.
Fast noch attraktiver als neue Spiele waren Influencer mit klingenden Namen wie „SaftigesGnu“. Die Schlangen an den „Signing Areas“ waren mindestens so lang wie bei Großproduktionen ein paar Hallen weiter. An ihrem Ende warteten keine Videospiele, sondern unscheinbare Menschen an Signiertischen, die Autogramme gaben, Selfies machten und enorm viele junge Menschen umarmen mussten. Die großen Vorbilder sahen sehr normal aus, sie gingen fast in der Menge unter; das ist offenbar ein wesentlicher Teil ihres Erfolgsgeheimnisses. Die Streamer und Youtuber spielen dasselbe wie ihre Fans. Sie wirken nicht wie ferne Stars, sondern wie ein erweiterter Freundeskreis, vielleicht auch wie ein Vorbild.
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Remakes und Fortsetzungen alter Spiele sind besonders beliebt
Den meisten Besuchern aber waren die Spiele dann doch wichtiger als die Streamer selbst. Lange standen Fans an, um „Borderlands 3“auszuprobieren – einen Egoshooter, der ohnehin am 13. September erscheint. Einen warmen Empfang bekam auch die Messeneuheit „Need for Speed Heat“. Einst war „Need for Speed“ die rasanteste Autorennspielserie schlechthin. Nach mehreren schlechten Fortsetzungen und einer mehrjährigen Pause ist sie wieder da, mit einer Kombination aus illegalen Straßenrennen, Polizeiverfolgungsjagden und Autotuning.
Das vielleicht bedeutendste Spiel der Messe wiederum war nicht eben neu. „Final Fantasy VII“ erschien ursprünglich für die allererste Playstation und setzte Meilensteine. So kitschig, episch und ellenlang kam kaum ein Fantasyabenteuer zuvor daher. Das „Final Fantasy VII Remake“ wurde schon vor Jahren angekündigt, dann war lange nichts davon zu hören. Jetzt ist das japanische Rollenspiel plötzlich überall, auf vielen Spielstationen und sogar als Werbegrafik auf dem Handlauf der Rolltreppen. Die Teenager von damals kamen in Scharen, um zu sehen, was aus ihrem Liebling geworden ist.
Nostalgie ist ein wichtiger Faktor für den Spieleerfolg. Viele Spieler haben einen konservativen Geschmack. Das weiß auch Nintendo und punktet in diesem Jahr unter anderem mit dem Remake von „The Legend of Zelda: Link’s Awakening“, einem über 25 Jahre alten Gameboy-Spiel. Die Neuauflage war immerhin gut genug für den Gamescom-Award als bestes Switch-Spiel. Und so süß wie hier sah Held Link selten aus.
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Neue Spiele und innovative Technik
Wer etwas wirklich Unerhörtes spielen will, der hatte es auf der Gamescom am besten. Denn solche Spiele haben oft die kürzere Wartezeit. Richtig ungewöhnlich waren viele Spiele in Halle 10.2, wo die Gamescom das neue „indie village“ eingerichtet hatte. Hier standen die Anspielstationen lückenlos nebeneinander, und unter ihnen warteten merkwürdige Titel wie „The Longing“. Ein kleines graues Männchen steht in einer dunklen Höhle. Per Mausbefehl kann es zu einem Diamanten dirigiert werden, um ihn aus der Wand zu hacken. Das dauert ein paar Minuten, die Spieler können nur zuschauen. „The Longing“ ist ein Spiel über langes Warten. Es dauert 400 Tage, in Echtzeit.
Häufig anzutreffen waren Spiele, die etwas Neues erzählen wollen. Anders als in Grafikadventures von früher steht die Geschichte hier noch nicht fest, sie ist verhandelbar. Technisch ist das anspruchsvoll – statt einem Buch müssen die Autoren eher ein Baumdiagramm schreiben, ein verzweigtes System von Storybausteinen. Den ambitioniertesten Kniff der Messe hat wiederum „Watch Dogs Legion“. Spieler übernehmen ein ganzes Kollektiv an Hackern. Im Widerstand gegen ein Kontrollregime streifen sie durch eine düstere Zukunftsvision Londons und rekrutieren auf der Straße, wen sie wollen – die Passanten haben Vorlieben, Ziele und Probleme. Wer sich darauf einstellt, kann sie irgendwann für die eigene Sache überzeugen. Aber ein junger Boxer oder eine rüstige Rentnerin können sehr verschiedene Anforderungen stellen. Sie spielen sich auch sehr verschieden.
Die vielen simulierten Passanten von „Watch Dogs Legion“ sind eine technische Errungenschaft, deswegen kopieren andere Studios den Trick nicht einfach. Aber um große Offenheit sind auch andere Blockbuster bemüht, etwa „Cyberpunk 2077“, das eine möglichst offene Zukunft inszenieren will.
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Gamescom Fazit: Breites Spieleangebot und bessere Organisation
Die Gamescom 2019 bot dem Publikum ein breiteres Angebot als je zuvor. In den ersten Messetagen wurden die immensen Besucherströme besser gebändigt als in den Vorjahren. Mit ein wenig mehr Fläche, mit breiteren Gängen und mit kleinen Änderungen beim Ticketing hat sie einen spürbaren Unterschied geschaffen, auch wenn es gelegentlich im Gedränge langsam voranging. Auch die neue Eventhalle könnte geholfen haben, die Hunderttausenden auseinanderzuziehen und besser über das riesige Gelände zu verteilen. So kann es weitergehen. Die Gamescom 2020 beginnt am 25. August.
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Das Wichtigste in Kürze
- Humankind: Das rundenbasierte Strategiespiel erscheint nächstes Jahr für den PC.
- Need for Speed Heat: Die rasante Rennserie wird im November für PC, PS4 und Xbox One fortgesetzt. Wer ohne Warten lostunen will, kann die App „NFS Heat Studio“ laden.
- Final Fantasy VII Remake: Der große japanische Rollenspielklassiker wird im März 2020 für die PS4 neu aufgelegt.
- The Legend of Zelda Link’s Awakening: ist ein fast makelloses Action-Adventure, ab September erhältlich für Switch.
- Watch Dogs Legion: Ab März 2020 können Spieler auf PC, PS4 und Xbox One gegen ein autoritäres Regime kämpfen.
Von Jan Bojaryn/RND