Festivalsaison gestartet: Mehr Bier als Verstand – ein Rant
Die schönste Zeit im Jahr ist angebrochen: Festivalsaison! Nirgendwo sonst finden sich so viele Menschen auf einmal, die die Musik fast so leidenschaftlich lieben wie ein warmes Bier. Was MADS-Autor Myron daran nicht schmeckt – ein Rant.
Tausende Menschen drängen sich dicht an dicht auf den verstaubten Campingplätzen der größten deutschen Festivals und spielen dort, wo sie eigentlich schlafen sollten, viel zu laut schlechte Musik. Vor ihren Zelten trinken sie schales Bier und stehen anschließend stundenlang an, um es wieder loszuwerden. Die gute Stimmung korreliert dabei offenkundig stark mit dem jeweiligen Alkoholpegel, denn wer bei dieser Veranstaltung noch bei Verstand ist, wird diesen schnell verlieren.
„Trinken, bis der Arzt kommt“
Auch in diesem Jahr dürfte die Musik wohl nur eine Nebenrolle auf den ihr einst gewidmeten Veranstaltungen einnehmen. Schon lange hat der Alkohol ihr den Rang abgelaufen und die ehemals musikbegeisterten Festivalenthusiastinnen und -enthusiasten in volle Flaschen mit leeren Dosen verwandelt. Frei nach dem Motto „Trinken, bis der Arzt kommt“ haben hier besonders diejenigen Spaß, deren Horizont sich auf den Umfang eines Bierdeckels begrenzt – nicht aber die freiwilligen Helfenden, die sich dazu bereiterklärt haben, die stammelnden Opfer der eigenen Selbstüberschätzung wieder aufzupäppeln. Bestenfalls können sich die Hopfenzombies an ihre dümmsten Einfälle genauso wenig erinnern wie an den Rest der mutmaßlichen Kulturveranstaltung, wenn sie nach der Alkoholvergiftung im Lazarett wieder aufwachen. Sobald sie wieder stehen können, wird selbstverständlich weitergefeiert.
Je höher der Pegel, desto geringer der Widerstand
Einige von ihnen werden die Nacht schließlich ohne bleibende Schäden überstehen. Sofern sie nichts Besseres zu tun haben, verirren sie sich dann manchmal sogar auf das Festivalgelände, wo sie für 8 Euro pro Becher weiter Bier trinken, um die unverschämten Preise schnellstmöglich wieder zu vergessen. Der Veranstalter profitiert natürlich vom überhöhten Alkoholkonsum seiner Gäste, denn auch hier gilt: je höher der Pegel, desto geringer der Widerstand. Man könnte meinen, es brauche die Liveacts überhaupt nicht mehr. Tage- und nächtelang dröhnen die beliebtesten Ballermann-Hits über den Zeltplatz, bis man nichts mehr weiß als den Namen von Niki Laudas Mutter – Kultur ist eben eine Substanz, die sich leicht in Alkohol auflöst. Wer sich dann doch den großen Bühnen nähert, sollte unbedingt an einen Helm denken. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, fliegen hier kleine bis mittelgroße Gegenstände durch die Luft. Auf dem Boden wiederum fliegen im Moshpit die Fäuste, bis auch der letzte ahnungslose Kollateralschaden regungslos im Schlamm liegt.
Auf den Bühnen tummeln sich derweil angesagte DJs, alternde Rockstars und besonders Hip-Hop-Musiker. So bleiben letztlich als Highlight der Veranstaltung drei in die Jahre gekommene Berufsrapper, die Lines über Nutten, Koks und Adolf Hitler spitten. Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, dann werfen eben selbst Zwerge lange Schatten.
Von Myron Christidis
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