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Erinnerungen an die Schrecken des KZ

Erinnerungen an die Schrecken des KZ
Foto:  Susanne Peyronnet

Der 85-jährige Holocaust-Überlebende Jurek Szarf sprach in der Arnesbokenschule in Ahrensbök vor Schülern des 9. und 10. Jahrgangs. Er berichtete von Hunger, von Läusen und davon, dass er überzeugt davon war, kein Mensch zu sein.


Nach der Befreiung, im Alter von 14 Jahren, ging Jurek Szarf nicht ins Kino. Denn ins Kino gehen nur Menschen. „Ich dachte, ich bin kein Mensch mehr. Wenn du immer beleidigt wirst, keinen Namen mehr hast und nur eine Nummer bist, immer nur Drecksjude oder Saujude genannt wirst, dann bist du überzeugt, kein Mensch mehr zu sein.“

Es ist diese direkte Art, mit der der heute 85-jährige Jurek Szarf seine jungen Zuhörer erreicht. So wie am Montag in der Arnesbokenschule in Ahrensbök erzählt er seine Lebensgeschichte immer und immer wieder in Schulen. Ausführlich, manchmal im Schrecken noch witzig, aber immer mit einer Eindringlichkeit, die seine Kindheit und Jugend hinter Stacheldraht und im Angesicht des Todes spürbar werden lässt.

Das Ausgeschlossensein, dass er später fürs Kino empfand, begann früh. Als er sechs Jahre alt ist, darf er sich nicht auf eine Bank setzen, weil er Jude ist. „Ich wusste nicht, was Jude, Christ oder Atheist ist“, erzählt er. Geboren und aufgewachsen im polnischen Lodz, hat der Knirps im Mai 1940 seine erste Begegnung mit den Nazis. Die SS stürmt die Wohnung seiner Eltern, schleudert den Jungen gegen eine Wand. Als er wieder zu sich kommt, findet er sich im Ghetto in Lodz wieder.

Die große Unwissenheit

Dort wütet Hans Biebow, der Verwaltungschef des Ghettos. Er veranlasst, dass zunächst die alten – alle Menschen mit weißen Haaren – und dann die Kinder unter zehn Jahren weggebracht werden. „Wohin? Vergast? Verbrannt? Wir wussten es nicht“, berichtet Szarf den Schülern. Wie ein roter Faden zieht sich das Nichtwissen durch seine Erzählung. Er ist zu jung, die Opfer haben zu wenige Informationen, um zu verstehen, was mit ihnen geschieht. Szarf macht den großen Unterschied deutlich zwischen der damaligen Ahnungslosigkeit und dem, was heute bekannt ist.

Der Deportation entging der kleine Jurek nur, weil seine perfekt Deutsch sprechende Tante für Hans Biebow arbeitete. „Er war Alkoholiker. Sein Hobby war es, Leute zu erschießen aus seinem Cabrio heraus. So wie andere Karnickel erschießen, erschoss er Menschen. Das war ja kein Problem, Juden waren ja keine Menschen.“ Da ist sie wieder, die Entmenschlichung, die Szarf seine ganze Kindheit hindurch erlebte.

Die Schüler der Klassenstufen 9 und 10 hören Jurek Szarf gebannt zu

 Die Schüler der Klassenstufen 9 und 10 hören Jurek Szarf gebannt zu. Quelle: Susanne Peyronnet

Bis 1944 überlebt seine Familie im Ghetto, leistet Zwangsarbeit, hungert. Dann beginn die Odyssee der Szarfs durch verschiedene Konzentrationslager. Die Lage wird immer schlimmer, ein Familienmitglied nach dem anderen findet den Tod. Jurek Szarf und sein Vater landen im KZ Ravensbrück. „Es war die Hölle. Da waren Tausende von Läusen. Die haben mir die halben Beine weggefressen.“

Die Befreiung kommt in Sachsenhausen. Jurek, sein Vater, sein Onkel Pawel und etwa 30 andere stehen, die Hände erhoben, für die Hinrichtung vor einer Wand. „Wir warteten auf die Schüsse. Ich konnte nicht mehr stehen und bin hingefallen.“ Da stürmen russische Soldaten den Raum. Die Rettung in letzter Sekunde. Den Holocaust haben nur Jurek, sein Vater und zwei seiner Onkel überlebt.

„Würden Sie gerne Rache nehmen?“, möchte ein Schüler wissen. „Nein, Rache ist verboten im Judenturm“, antwortet Szarf. Ob er Angst habe, dass sich so etwas wiederholen könne. „Nein, das liegt in unserer Hand. Wir sind Demokraten.“ Dass der Junge Jurek nie eine Schule besucht hat, aber dennoch in seinem weiteren Leben beruflich erfolgreich war, hat Finja (16) besonders beeindruckt. „Das mit der Zwangsarbeit hat mich schockiert, dass er mit sieben Jahren arbeiten musste“, sagt sie nach dem Vortrag. Jasper (17) ist froh, „dass es immer noch Menschen gibt, die das miterleben mussten, das bringt es einem sehr nahe“.

Zeitzeuge Jurek Szarf  erzählt seit Jahren in Schulen von seiner Kindheit im Ghetto Lodz und in den Konzentrationslagern der Nazis

 

Zeitzeuge Jurek Szarf erzählt seit Jahren in Schulen von seiner Kindheit im Ghetto Lodz und in den Konzentrationslagern der Nazis. Quelle: Susanne Peyronnet

Einer der letzten Zeitzeugen

Szarf, der bis heute wegen seiner Erlebnisse in psychotherapeutischer Behandlung ist, ist seit Jahren in Schulen unterwegs, um seine Geschichte zu erzählen. „Ich arbeite ohne Konkurrenz, weil fast niemand mehr lebt. Ich bin ein gefragter Zeitzeuge, leider.“ Am Freitag spricht er vor Oberstufenschülern des Ostsee-Gymnasiums in Timmendorfer Strand. Dort werden im Rahmen einer Gedenkstunde von Teilnehmern einer Auschwitz-Fahrt symbolisch sechs Kerzen für sechs Millionen ermordete Juden entzündet.

Susanne Peyronnet

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