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Endlich wieder frei atmen: Wie man der eigenen Psyche helfen kann

Endlich wieder frei atmen: Wie man der eigenen Psyche helfen kann
Foto: Unsplash/Eli Defaria

Rund ein Viertel der Erwachsenen und ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden unter einer psychischen Krankheit. Bis zu sechs Monate müssen Betroffene auf einen Therapieplatz warten. Selbsthilfe ist ein erster Schritt – aber kein Ersatz für professionelle Unterstützung. MADS-Autorin Luise berichtet von ihrem Weg aus einer psychischen Krise durch Selbsthilfe.


Im August entschied ich, dass sich etwas verändern muss. Sieben Monate lang habe ich mein Schicksal einfach akzeptiert und bin weiter mit meinem Sofa verschmolzen – das Handy in der Hand, Instagram geöffnet. 

Sieben Monate lang habe ich es einfach hingenommen, dass es mir psychisch nicht gut ging. „Das ist eben das wahre Leben“, flüsterte mir eine gemeine Stimme ins Ohr. Das beschwerliche Gefühl, das monatelang auf meiner Seele lag, konnte sie damit aber nicht vertreiben. Das „wahre Leben“ bedeutete für mich in dieser Zeit schlaflose Nächte ohne jede Chance, meinen Gedankenstürmen zu entkommen oder stundenlange Instagram-Reels-Marathons auf der Suche nach dem nächsten Dopamin-Kick. Das bedeutete auch, dass ich den Spaß an Dingen verlor, die mir normalerweise Freude bereiteten, dass ich Treffen absagte, nur um reglos in meinem Zimmer in die Leere zu starren.

Rund 7000 Kassensitze fehlen

Mit meinen Sorgen war ich nicht allein. Psychische Krankheiten haben in den vergangenen Jahren weiter zugenommen. Wegen der Corona-Pandemie, gesellschaftlicher Krisen und Kriege sind mehr Menschen auf Unterstützung angewiesen. Das Problem: Gleichzeitig fehlen rund 7000 Kassensitze für Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Das schätzt die Bundespsychotherapeutenkammer. Kassensitze sind Zulassungen, die es Psychotherapeutinnen und -therapeuten ermöglichen, Behandlungen über die Krankenkasse abzurechnen. 

Obwohl ich keine professionelle Diagnose bekommen habe, fühlte ich, dass etwas nicht stimmte. Äußerlich fiel mein seelischer Zustand wohl kaum jemandem auf. Innerlich verdrängte ich jeden Selbstzweifel in die letzte Ecke meines Gehirns, ohne dabei zu merken, dass ich ihm das perfekte Nest baute: diesem Parasiten, der mich von da an besaß und sich durch meine aufmunternden Gedanken fraß, bis keine mehr übrig waren. Einen kleinen Teil in mir schien der Parasit dabei aber übersehen zu haben, sodass ich eines Tages entschied: So soll mein Leben nicht weitergehen. 

Vom Sofa zurück ins Leben durch Selbsthilfe

Also tat ich das, was ich am besten kann: einen Plan erstellen — einfacher gesagt als getan. Ich habe schon viele Pläne und Listen in meinem Leben erstellt, doch nie war ich mir dabei so verletzlich vorgekommen. Was spüre ich? Wie kann ich dieses Gefühl annehmen? Und was kann ich überhaupt selbst für mich tun? Ich musste schmerzlich die Erfahrung machen: Aller Anfang ist schwer. Von nun an meditierte ich, schrieb Tagebuch und beantwortete Fragen zu meinem mentalen Zustand in einer App. Instagram versuchte ich nicht mehr als 15 Minuten am Tag zu nutzen, und vor dem Schlafengehen legte ich das Handy weg, um zu lesen. Ich zwang mich zu Aktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände. Doch so sehr ich meine To-do-Listen auch schätze, einen Punkt wie „mentalen Zustand reparieren“ kann man nicht einfach abhaken. Und so waren da Tage, an denen ich den „Panik-Button“ in meiner App drückte und mich die Computerstimme mit Worten wie „Lass deine Gedanken mit der Erfahrung fließen und nicht gegen sie“ (was?!) doch nicht aufmuntern konnte.

Trotzdem klammerte ich mich an diesen letzten Fetzen Hoffnung wie Schiffbrüchige an ein Stück Holz, um nicht in meinem Zustand zu ertrinken. Und irgendwann spürte ich dann, wie mein Kampfgeist geweckt wurde. Ich wollte wieder frei atmen können. Ich wollte wieder glücklich sein. 

Sich selbst therapieren – geht das?

„Glücklich“ – monatelang habe ich diese Leichtigkeit nicht gespürt. Wenn ich heute, rund drei Monate nach dem Beginn meines Selbstexperiments, tief Luft hole, dann ist da nicht mehr dieser Elefant, der es sich auf meiner Brust gemütlich gemacht hat. Da sind zwar immer noch die gelegentlichen Selbstzweifel, und manchmal verfalle ich auch in alte Muster und erstarre auf meinem Sofa, den Blick auf meine Wand geheftet. Doch es fällt mir wieder leichter, mich für Dinge zu begeistern. War das nur Zufall?

Um dieser Frage nachzugehen, sprach ich mit der klinischen Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Dr. Fanny Dietel über die Wirksamkeit von Selbsthilfemethoden. Sie erklärt, Selbsthilfe könne in verschiedenen Situationen sinnvoll sein, etwa um die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken. „Sie macht vor allem dann Sinn, wenn man merkt: Es gibt störende Verhaltensweisen, aber ich komme im Alltag noch gut klar und habe die Kraft, mich selbstständig mit Selbsthilfetechniken zu beschäftigen.“

MADS-Autorin Luise Moormann, Foto: privat

Grundsätzlich finden solche Methoden auch in professionellen Therapieansätzen Anwendung, wie in der kognitiven Verhaltenstherapie. Dietel betont: „Im Grunde leisten wir Hilfe zur Selbsthilfe. Patienten sollen lernen, selbstständig positive Veränderungen in ihrem Alltag vorzunehmen.“

Doch wo liegen die Grenzen der Selbsthilfe? „Oft nehmen wir zunächst diffuse Anzeichen wahr – Schlafstörungen oder gedrückte Stimmung. Wenn sich diese Symptome nicht einordnen lassen oder trotz Selbsthilfeversuchen anhalten, ist professionelle Unterstützung der nächste Schritt. Besonders wenn Gedanken aufkommen, sich selbst oder anderen zu schaden, ist fachliche Hilfe unerlässlich“, ordnet Dietel ein.

Ich frage Dietel noch, ob es möglich ist, mein Problem zu benennen. Sie sagt, es gebe Kriterien für psychische Erkrankungen: anhaltendes Leid, das den Alltag beeinträchtigt, sowie die Dauer der Symptome. Eine genaue Diagnose erfordert jedoch eine ausführliche Untersuchung. Mir persönlich hat Selbsthilfe jedoch geholfen, sodass ich heute sagen kann: Es geht mir besser.

Diese Selbsthilfemethoden haben mir geholfen:

  • Meditieren: Reduziert Stress und fördert innere Ruhe. Podcasts mit geführten Sessions, die ich empfehlen kann, sind:„einfach meditieren. einfach achtsam leben“ auf Spotify und „Meditationsliebe — Dein Podcast für geführte Meditationen“ auf allen gängigen Podcast-Plattformen.
  • Tagebuch schreiben: Hilft bei der Verarbeitung von Gefühlen und Gedanken. Themen können Dankbarkeit, Träume oder tägliche Erlebnisse sein.
  • Austausch mit anderen Menschen: Stärkt soziale Bindungen und bietet emotionale Unterstützung.
  • Handy-Nutzung reduzieren: Verringert digitalen Stress und fördert echte Verbindungen.

Von Luise Moormann


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Über den Autor/die Autorin:

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