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Kraftklub-Sänger Felix Kummer befürchtet Schwarz-Blau in Sachsen: “Dann geh ich nach Berlin”

Kraftklub-Sänger Felix Kummer befürchtet Schwarz-Blau in Sachsen: “Dann geh ich nach Berlin”
Foto: dpa

Vor einem Jahr wurde Daniel H. in Chemnitz erstochen. Rechte Ausschreitungen folgten – und als Reaktion das “Wir sind mehr”-Konzert, initiiert von der Band “Kraftklub. Sänger Felix Kummer spricht über Sachsen vor der Wahl – und sein erstes Soloalbum.


In der Nacht zum 26. August 2018 starb der 35-Jährige Daniel H. an fünf Messerstichen nach einer Auseinandersetzung. Das Landgericht Chemnitz hat diese Woche den 24-jährigen Alaa S. zu neuneinhalb Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. Vor einem Jahr gab es wütende Demonstrationen in Chemnitz und rechtsextreme Ausschreitungen – aber auch das „Wir sind mehr“-Konzert mit 65.000 Besuchern. Kraftklub-Sänger Felix Kummer hat das Konzert mit initiiert. Am 13. Oktober legt er sein erstes Soloalbum vor – auf dem er sich auch mit dem Rechtsextremismus in Chemnitz auseinandersetzt. Mit Jan Sternberg spricht er über seine Befürchtungen für die Sachsenwahl am 1. September, den Osten, die AfD – und das Älterwerden.

Nach dem tödlichen Messerangriff auf Daniel H. stand Chemnitz vor genau einem Jahr im Fokus der Weltöffentlichkeit. Ihr habt mit dem „Wir sind mehr“-Festival am 3. September 65.000 Leute in die Stadt geholt. Was ist davon geblieben?

Diese Woche vor einem Jahr war zu viel für alle. Da haben auch viele Chemnitzer einen Knacks wegbekommen, wenn sich plötzlich die ganze Welt auf diese Stadt stürzt – und wenig darüber weiß, was hier die ganzen Jahre passiert ist. Uns wurde vorgeworfen, dass wir mit dem Festival keinen einzigen Rechten überzeugen würden. Darum ging es uns auch nicht. Uns ging es um die anderen, die korrekten Leute, die es hier auch noch gibt. Die durften und dürfen nicht alleine gelassen werden mit der Übermacht an Faschos.

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65.000 Menschen kamen zum „Wir sind mehr“-Konzert – das anschließend Eingang in den sächsischen Verfassungsschutzbericht fand.

Du hast kürzlich eine Single veröffentlicht, „9010“ heißt sie, nach der alten Postleitzahl von Karl-Marx-Stadt. Darin geht es um die Neonazi-Angriffe, die du in deiner Jugend erlebt hast. Wie schlimm war das?

Die Faschos gehören zu meinem Leben, wie wahrscheinlich zum Leben von jedem Jugendlichen in Sachsen, der nach der Wende aufgewachsen ist. Als Kind habe ich Gruselgeschichten von den Männern mit Bomberjacke und Baseballschläger gehört. Richtig zum Problem wurde es dann, als wir Jugendliche wurden und anfingen, auszugehen. Da mussten wir jedes Wochenende rennen. Wir hingen vor dem Club rum, weil wir kein Geld für den Eintritt hatten, dann kamen drei Polos mit abgeklebten Nummernschildern, die sind raus, haben alle verdroschen und sind weitergefahren. Das ganze dauerte 30 Sekunden. Und so was passierte ständig. Das hat niemanden interessiert. Das stand nicht in der Zeitung, die Polizei hat sich nicht gekümmert, und alle konnten so tun, als gäbe es das Problem nicht. Vor einem Jahr haben viele so getan, als wären hier in einem Tag Neonazis gewachsen. Dabei gab es die schon seit 30 Jahren, und die Ausschreitungen waren nur möglich, weil Chemnitz so ein Knotenpunkt der rechtsextremen Szene ist.

„9010“ handelt von einem alternden Neonazi, der abgestürzt ist. Empfindest du Mitleid für ihn?

Als wir damals weggerannt sind, haben wir nicht darüber nachgedacht, dass die es auch nicht leicht hatten im Leben. Der Song handelt davon, dass ich mich drüber ärgere, dass ich nicht mal triumphieren kann, wenn ich ihn abgewrackt vor der Kaufhalle sehe. Da gibt es kein Gefühl, das sagt: „Das hast du davon! Schlechten Menschen wird es schlecht gehen.“ Nicht mal das ist einem vergönnt, und deswegen macht mich das Mitleid sauer, das ich für ihn empfinde.

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Was könnte gut werden in Chemnitz?

Es ist nicht mehr möglich, die Augen vor dem organisierten Rechtsextremismus in der Stadt zu verschließen. Das ist schon mal ein Vorteil. Damit wird nichts automatisch gut. Aber ich kenne so viele Leute, die hier trotzdem am Start sind, sich nicht einschüchtern lassen, so viele Initiativen, so viele engagierte Leute. Wenn es nach der Landtagswahl wirklich zu einer Zusammenarbeit von CDU und AfDkommt, wird es für die alle sehr schwer.

Solch eine Zusammenarbeit wäre in Sachsen nach der Wahl möglich – auch wenn Ministerpräsident Michael Kretschmer das weit von sich weist. Hast du Angst vor Schwarz-Blau?

Ich habe sehr konkrete Befürchtungen, dass es so kommen wird. Ich sehe die Talkshow nach der Wahl schon vor mir, in der ein CDU-Politiker sagen wird: „Wir müssen den Wählerwillen respektieren, die AfD ist eine demokratisch gewählte Partei, wir reden mit jedem…“ Wenn die AfD hier wirklich in die Landesregierung kommt, dann bin ich wahrscheinlich weg von hier. Dann schmeiß ich all meinen Chemnitz-Lokalpatriotismus über Bord, geh nach Berlin und gentrifiziere schön was weg.

Auf die Single „9010“ folgt am 11. Oktober dein erstes Soloalbum„Kiox“ . Warum hast du das Album außerhalb der Band gemacht?

Im Laufe der Zeit wurden bei „Kraftklub“ die Texte mehr und mehr Rollenprosa, also aus der Sicht von Figuren geschrieben. Ich habe das Soloalbum gemacht, weil ich Songs geschrieben hatte, wo ich das Gefühl hatte, die kann ich jetzt nicht vor zehntausend Leuten singen. Dafür hatten sie doch zu viel mit mir zu tun. Ich wusste relativ lange nicht, was ich mit den Songs machen sollte. Die sind in Teilen sehr nah, fast autobiografisch.

Als Gast singt Max Raabe übers Älterwerden. Du bist jetzt gerade 30 geworden – hat dich das belastet?

Ich habe keine Angst vorm Älterwerden, das ich jetzt irgendetwas verpasse. Aber es gab schon eine Wehmut, zu denken: Das waren jetzt meine Zwanziger. Es waren auf jeden Fall sehr lustige Zwanziger.

Wie kamst du auf Max Raabe?

Ich bin Fan von ihm! Ich habe vor Jahren mal meiner Mutter eine sündhaft teure Karte für ein Konzert von ihm in der Chemnitzer Stadthalle geschenkt, war mit und mochte die Musik sofort. Und er hat bei diesem Song zugesagt mit dem schönen Satz: „Ich mag die feine Melancholie darin.“

Eine Zeile heißt: „Jung draufzugehen – ich habs versucht, aber nicht gut genug…“

Joa, da war schon zum Teil recht wild.

„Wir reden nicht über Politik, denn dann streiten wir uns nur“ – worauf bezieht sich diese Zeile?

Vor allem in den Familien meiner Freunde ist in der Zeit seit 2015 ziemlich viel eskaliert – da wurden Familienmitglieder nicht mehr zu Hochzeiten eingeladen, da gab es Geburtstagsfeiern, die komplett im Streit über Politik endeten.

In den Familien und zwischen den Generationen geht es um Flüchtlinge, um die AfD, um den Frust – warum gibt es diesen Streit, diese Wut, besonders in Ostdeutschland?

Ich weiß nicht, woran es liegt. Es ist jedenfalls nicht die Treuhand gewesen, die alle zu Nazis gemacht hat. Damit macht man es sich zu einfach. Es sind nicht alle Antworten für Wut und AfD-Wahlerfolge in der verkackten Wende zu suchen. Damit macht man es auch denen zu einfach, die heute AfD wählen. Nur weil man sich missverstanden, schlecht behandelt und gegängelt fühlt, ist es doch nicht legitim, Rechtsradikale zu unterstützen.

Wie sehr prägt die DDR-Vergangenheit, die ihr nie selbst erlebt habt, auch deine Generation?

Ich habe diese Ost-West-Unterschiede immer für Quatsch gehalten. Die meisten Klischees stimmen einfach nicht. Wir haben auf Tour bescheidene Münchner genauso kennengelernt wie arrogante Leipziger. Bei der Europawahl aber zeichnete sich die Landkarte der DDR bei den Ergebnissen blau ab. Blau wie AfD. Das fand ich dann wirklich unheimlich. Seit 30 Jahren regiert die CDU in Sachsen, die ist stramm rechts. Wer rechtskonservative, reaktionäre Politik will, kann die auch weiterhin wählen. Wer AfD wählt, weiß, was er tut. Ich nehme niemandem mehr ab, dass er nicht weiß, wer diese Partei prägt. Das meine ich mit Verantwortung.

30 Jahre friedliche Revolution, 30 Jahre Felix Kummer. Bist du ein Ostkind?

Ich habe nie großen Gefallen daran gefunden an diesen Identitäten – als Deutscher, Ostdeutscher, Sachse, Chemnitzer. Wenn, dann als Chemnitzer, weil es so ein schönes ambivalentes Verhältnis ist. Ich kenne keinen, der das Lokalpatriotische hier ernst meint. Es geht immer darum, mit der Zuschreibung zu spielen, dass das hier die hässlichste Stadt Deutschlands sei – und daraus seinen Witz zu ziehen. Es macht Spaß, zu sagen: Ich komme aus der uncoolsten Stadt Deutschlands und bin immer noch cool – was sagt das über deine Stadt und dich aus? Es gibt so viele, die nach Berlin ziehen und hoffen, dass die Coolness Berlins auf sie abfärbt. Bei uns war es bislang einfach Eigennutz, nicht nach Berlin zu gehen. Hier zahlt man billige Mieten, hat Proberäume…

„So gut wie nichts“ zahlt Kummer auch für einen Ladenraum gleich neben dem Chemnitzer Hauptbahnhof. Er wird im Oktober nur ein Wochenende öffnen, nur dort gibt es das Soloalbum. Es ist eine Familien-Erinnnerung: „Kiox“ hieß auch der Plattenladen von Kummers Vater Jan – und nun der des Sohnes: www.kiox-tontraeger.de

Von Jan Sternberg/RND


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