Motivierte Schüler durch Videospiele im Unterricht?
Im Schulunterricht spielen Games trotzdem kaum eine Rolle. Dabei könnten sie einige spannende Ansätze für den Schulalltag liefern.
Im Schein der Fackel sind verwitterte Hieroglyphen und Bilder altägyptischer Götter zu sehen. Die Stimme des virtuellen Fremdenführers erzählt von den Anfängen des Mumienkults und Osiris, dem ersten Gott, der in der Gestalt einer Mumie auftrat. Immer wieder verschwindet die Spielwelt, an ihre Stelle treten dann Texte und Bilder. Denn in der Discovery-Tour des Videospiel-Blockbusters „Assasin’s Creed Origin“ müssen die Spieler nicht kämpfen oder Rätsel lösen. Stattdessen lernen sie auf der virtuellen Reise durch das alte Ägypten mehr über einbalsamierte Leichen, den Alltag der armen Bevölkerung und die Bedeutung des Nils.
Kreativdirektor Jean Guesdon vom Spieleentwickler Ubisoft erklärt die Intention dahinter: „Wir möchten Geschichte cool machen.“ Wie häufig deutsche Schüler durch die Pyramide von Gizeh laufen, statt ins Schulbuch zu schauen, dazu gibt es keine belastbaren Zahlen. Viele werden es wohl nicht sein.
Umsetzung im Unterricht ist schwer
Zwar gibt es immer mehr Menschen, die der Ansicht sind, dass Computerspiele durchaus als Kulturgut gewertet werden können. Trotzdem sind die Berührungsängste seitens vieler Pädagogen groß. Einerseits halten sich die umstrittenen Thesen von Digitalisierungskritikern wie Manfred Spitzer in Bildungskreisen wacker. Andererseits scheitert die wachsende Zahl an interessierten Lehrkräften häufig an den Rahmenbedingungen. Es gibt kaum Fortbildungen oder passende Unterrichtsmaterialien, um Videospiele sinnvoll im Unterricht einzusetzen. Dazu kommt die schlechte technische Ausstattung vieler Schulen. Gerade grafisch aufwendige Spiele brauchen aber leistungsstarke Hardware und schnelles Internet. Die Nutzung von Tablets oder Smartphones steckt in vielen Schulen noch in den Kinderschuhen. Auch ein starrer 45-minütiger Unterrichtsrahmen erschwert die Ausflüge in virtuelle Welten. Deshalb findet die Auseinandersetzung mit Games meistens nur in außerschulischen Projekten oder Arbeitsgemeinschaften statt.
Visuelle Effekte machen komplexe Themen verständlicher
Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. Besonders viel Unterrichtsmaterial findet man zu dem Konstruktionsspiel „Minecraft“. Im klotzigen Retro-Look gestalten die Spieler dabei ihre eigenen Pixelwelten. Ein simpler Ansatz mit viel pädagogischem Potenzial. Als Vorbereitung auf einen Chemietest bauen Schüler damit zum Beispiel Moleküle zusammen. Im Physikunterricht ordnen sie das durcheinandergeratene Sonnensystem, in Mathe nähern sie sich Flächen und Volumen. Seit einigen Jahren gibt es dafür eine Education-Edition von „Minecraft“. Der pädagogische Grundgedanke ist ein ähnlicher wie beim virtuellen Ausflug ins alte Ägypten: Komplexe Formeln und historisches Wissen werden für die Schüler neu erlebbar gemacht.
Aus Sicht von Malte Elson, Psychologe an der Ruhr-Universität Bochum, ist das durchaus sinnvoll. „Videospiele können eine gute Möglichkeit sein, um komplexe Inhalte zu visualisieren.“ Es ist sogar denkbar, dass auf diese Weise mehr Schüler das Periodensystem verstehen als beim reinen Blick ins Chemiebuch.
Videospiele müssen richtig eingesetzt werden
Einen guten Chemieunterricht ersetzen können eine paar Stunden im „Minecraft“-Universum allerdings nicht. Für Elson sind Videospielekeine Heilsbringer, die unsere Schulen im Alleingang besser machen. „Dafür sind erprobte Lehrmethoden, auch der verschriene Frontalunterricht, zu effektiv“, sagt Elson. Aber eine sinnvolle Ergänzung können sie dennoch sein – wenn der pädagogische Rahmen stimmt. Einfach nur die Schüler ein paar Lernspiele zocken zu lassen ist in etwa so effektiv, wie die Schüler ständig Filme schauen zu lassen.
In der Psychologie spricht man auch augenzwinkernd vom „Chocolate covered broccoli“-Effekt (auf Deutsch: mit Schokolade überzogener Brokkoli): Im ersten Moment sorgen die spielerischen Ansätze für ähnliche Begeisterung wie Schokolade. Doch die Ernüchterung stellt sich schnell ein, wenn die Schüler feststellen, dass sie auch in der virtuellen Welt Matheaufgaben lösen oder Reaktionsgleichungen zusammensetzen müssen.
Von Birk Grüling/RND