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Wie viel Patriotismus ist gut für uns?

Wie viel Patriotismus ist gut für uns?
Foto: dpa, Unsplash, ipon

In Deutschland wird immer häufiger über Heimatliebe gestritten. Unsere MADS-Autorinnen begründen, weshalb sie Deutschland nicht lieben – oder eben doch.


Als ich 16 war, ging ich für ein Jahr auf eine amerikanische Highschool in Wisconsin, USA. Dort war alles grotesk anders: Vor allem irritierte mich aber der stetige Nationalstolz, mit dem ich permanent konfrontiert wurde. Amerikanische Flaggen in den Vorgärten, das Nationalgelübde zu Schulbeginn und die Nationalhymne zu jedem erdenklichen Zeitpunkt. Mir, als Deutsche, hatte man so was nie beigebracht. Liebe zum eigenen Land war ein absolutes No-Go.

Macht sich für einen gesunden Patriotismus ohne Ausgrenzung stark:
MADS-Autorin Ronja (21).

Eigentlich finde ich das gut. Übertriebener Patriotismus und die Einstellung „Mein Land über alles“ passt mir überhaupt nicht in den Kram. Und trotzdem hat mein Auslandsjahr den Blickwinkel und meine Einstellung gegenüber meinem Heimatland verändert. Ich musste erst mal woanders leben, um zu bemerken, was Deutschland mir bedeutet.

Butterkuchen, ranzige Techno-Clubs und Dönerbuden

Liebe zum Heimatland hat für mich nicht zwingend etwas mit Politik, Wirtschaft oder dem Fußballteam zu tun. Stattdessen ist es die Verbundenheit zu den Menschen, die hier leben, zu unserer Natur und ganz wichtig, unserer Kultur. Kultur wird häufig als Gesamtheit menschlicher Lebensäußerung bezeichnet. Deutsche Beispiele aus dem eigenen Umfeld sind für mich die stärker werdende Klimaschutzbewegung und „Gemeinsam gegen rechts“, aber auch weniger bedeutsame Dinge wie vegane Frikadellen oder Jutebeutel als Handtaschen.

Damit das klar ist: Ich bin nicht von Kopf bis Fuß vernarrt in mein Heimatland. Ich wünsche mir ein offeneres Deutschland. Ein grüneres Deutschland, ein toleranteres Deutschland. Doch schon Historiker Heinrich von Sybel schrieb: „Der beste Patriotismus ist nichts anderes als die klare Einsicht in die starken und schwachen Seiten einer Nation.“ All die Fehler unseres Landes sind, ob wir wollen oder nicht, Teil von uns. In meinem Kopf ist das sehr präsent und hat mich somit stark geprägt. Auch die positiven Dinge, die ich mit meinem Heimatland verbinde, haben einen Einfluss auf mich. Das gilt für norddeutschen Butterkuchen und ranzige Techno-Clubs genauso wie für Dönerbuden und idyllische bayerische Bergdörfer. Kulturelle Einflüsse, die ich aus meinem Heimatland kenne, haben mich zu der Person gemacht, die ich bin. Sie sind das, was ich auf Reisen vermisse. Somit werden sie mich auch immer mit meinem eigenen Land verbinden.

Gesunder Patriotismus statt Rassismus

Für mich haben Nationalsozialismus und Rassismus nichts mit der Liebe zu Deutschland zu tun. Leute, die im Namen von angeblicher Heimatliebe andere ausgrenzen oder Gewalttaten begehen, haben Deutschland nicht verstanden. Sie haben nicht kapiert, dass gerade unsere kulturelle Vielfältigkeit und unser Land als kleiner Teil einer riesigen Gemeinschaft das ist, was uns ausmacht.

Es ist vollkommen in Ordnung, keine Liebe zum Elternland und unserer Kultur zu spüren. Aber auf der anderen Seite muss auch das Gegenteil wieder okay werden. Es sollte in Ordnung sein, von „Liebe zu Deutschland“ zu sprechen, ohne dass alle gleich an Nationalsozialismus und Ausgrenzung denken oder einen auch bloß als konservativen CDU-Wähler abstempeln. Ich finde: Man sollte sich nicht dafür schämen müssen, eine Verbundenheit zum Heimatland zu fühlen.

Von Ronja Wirts


„Vaterlandsliebe geht immer auch mit dem Ausschluss anderer einher“: Nina lehnt Patriotismus ab

Lehnt Patriotismus und Deutschland-Flaggen in Vorgärten ab:
MADS-Autorin Nina (23).

Ich liebe meine Familie und Freunde. Ich liebe gutes Essen und Urlaub am Meer. Mein Heimatland liebe ich allerdings nicht. Meine skeptische Einstellung gegenüber Patriotismus, Vaterlandsliebe und Nationalstolz löst bei vielen blankes Entsetzen aus. Ob ich denn nicht dankbar wäre, lautet oft die vorwurfsvolle Frage. Und ja, ich bin froh über die vielen Privilegien, die ich in Deutschland genieße.

„Ich bin dankbar“

Ich darf mitentscheiden, wer regiert und kann studieren, was mir Freude bereitet. Ich kann auf die Straße gehen, ohne mich um Tretminen und Bombeneinschläge zu sorgen – und genau das ist derzeit für viele Menschen auf der Welt nicht selbstverständlich. Für all diese Dinge bin ich dankbar. Doch mit dieser Dankbarkeit geht noch lange keine Liebe einher.
„Die Zukunft gehört Patrioten“, sagt dagegen Donald Trump stolz vor der UN-Vollversammlung. Und nicht nur in Amerika wird die Liebe zum Vaterland großgeschrieben. Auch in Deutschland blüht der Patriotismus wieder auf. Etwa wenn Philipp Amthor (CDU) in einem Focus-Interview sagt: „Ein offener und gesunder Patriotismus ist doch etwas, was sich viele Menschen wünschen“. Die Vaterlandsliebe kehrt zurück – ein Gedanke, bei dem es mir kalt den Rücken runterläuft.

Patriotismus schließt andere aus

Eine Nation zu lieben, was heißt das überhaupt? Mit dieser Frage habe ich mich erstmals in meinem Studium der Soziologie auseinandergesetzt. In einem meiner ersten Seminare beschäftigte ich mich mit der Argumentation, dass Vaterlandsliebe, Patriotismus und Nationalstolz immer auch mit dem Ausschluss anderer einhergehen.
Immer gibt es ein „Wir“ und ein „Ihr“. Im Vergleich zu anderen, wird die eigene Kultur aufgewertet. Während Nationalismus oft als negative Form der Heimatliebe postuliert wird, soll der Patriotismus eine positivere und nicht fremdenfeindliche Gesinnung darstellen. Dennoch konnten Studien belegen, dass eine starke Verbindung zu einer Nation dazu führt, dass Menschen, die in anderen Ländern aufwachsen, abgelehnt werden. So zum Beispiel die Ergebnisse der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ der Philipps-Universität Marburg von 2006.

Heimatliebe und Fremdenhass

Liebe allein mit dem Geburtsort und der Abstammung begründen? In meinen Augen nicht nur unverständlich – sondern auch gefährlich. Der Erste Weltkrieg hat schon bewiesen, wie eng Heimatliebe mit Fremdenhass verknüpft ist. „Der Patriotismus in Deutschland ist so furchtbar, weil er so grundlos ist“, formulierte Max Horkheimer, Vertreter der Frankfurter Schule, 1959. „Nichts von Liebe ist darin, …, nichts als Machtgier und Aggression.“

Eine Abneigung gegen Deutschland habe ich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich lebe gerne hier – liebe die Demokratie, die Menschenrechte und das Ziel der Gleichberechtigung. Manche würden diese Liebe wohl als „Verfassungspatriotismus“ bezeichnen. Doch bei dem Begriff Patriotismus wird mir genauso mulmig wie bei dem Anblick einer Deutschlandflagge im Vorgarten. Ein Gefühl, für das ich mich ganz sicher nicht schäme.

Von Nina Hoffmann


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