Streitthema Bundesjugendspiele: Warum die Reform dringend nötig ist
Deutschland diskutiert über die geplante Reform der Bundesjugendspiele. Ein FDP-Politiker bringt die Debatte sogar in Verbindung mit Deutschlands schlechtem Abschneiden bei der Leichtathletik-WM. MADS-Autor Tim kann die Argumente der Reformgegner nicht nachvollziehen.
FDP-Politiker Konstantin Kuhle hat jüngst mit einem Post auf der Plattform „X“ (ehemals Twitter) Aufsehen erregt. Er zieht eine Verbindung vom schlechten Abschneiden Deutschlands bei der Leichtathletik-WM zur geplanten Reform der Bundesjugendspiele. Das deutsche Nationalteam blieb erstmals in der Geschichte ohne eine einzige WM-Medaille. In Zukunft soll bei Bundesjugendspielen der Druck auf Schülerinnen und Schüler minimiert werden, vor allem durch veränderte Messung der Leistungen der Kinder. Das klingt eigentlich nach einem positiven Entschluss, trotzdem hat das Vorhaben viele Gegner.
WM-Debakel und Bundesjugendspiele: Besteht ein Zusammenhang?
Wenn man den Post von Konstantin Kuhle länger als 30 Sekunden analysiert, sollte etwas ziemlich Offensichtliches auffallen. Die Verbindung vom deutschen WM-Debakel und der geplanten Reform der Bundesjugendspiele ergibt einfach keinen Sinn. Denn: Alle Athletinnen und Athleten der diesjährigen WM nahmen während ihrer Schulzeit mit Sicherheit an Bundesjugendspielen teil. Die Teilnahme daran wirkt sich also nicht positiv auf die Leistung bei Turnieren aus, warum sollte sich eine Nicht-Teilnahme oder eine Modifikation der Regeln also negativ auswirken? Das Argument des WM-Debakels lässt sich also schon mal ziemlich leicht entkräften. Weiter behauptet Kuhle, er habe die Bundesjugendspiele als Jugendlicher gehasst – sich dadurch jedoch mit neuen Dingen beschäftigt, die er sonst nicht probiert hätte. So weit, so gut, doch was spricht denn dagegen, wenn Kinder und Jugendliche selbst entscheiden dürfen, was sie ausprobieren und was nicht. Oder noch besser, wenn sie dabei vielleicht sogar Spaß haben?
„Wettkampf macht Kinder stark“
Konstantin Kuhle ist mit seiner Forderung nicht allein: Auch andere Personen aus Öffentlichkeit und Politik stellen sich gegen eine Änderung der Bundesjugendspiele. Darunter auch Baden-Württembergs CDU-Fraktionschef Manuel Hagel. In einem Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“ sagt er:
„Das gehört zum Leben und hilft, Kinder stark zu machen. Deshalb dürfen wir nicht sämtliche Benotungen und Messungen aus unseren Schulen verbannen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. All das ist für das Leben nach der Schulzeit, Ausbildung, Studium, Handwerk, Mittelstand und Beruf wichtig.“
Reformen der Bundesjugendspiele: Was soll sich ändern?
Geplante Änderungen an den Bundesjugendspielen sind unter anderem eine alternative Messung bei Wettbewerben. Beim Weitsprung soll beispielsweise nicht mehr eine genaue Zentimeteranzahl gemessen werden. Stattdessen wird die Sprunggrube in Zonen aufgeteilt. Je weiter ein Kind springt, desto mehr Punkte erhält es. Der Wettbewerb bekommt also einen spielerischen Charakter, und die Bewertung wird freier. Sportdidaktiker Filip Mess sagte dazu in einem Beitrag von „Deutschlandfunk“:
„Wenn der andere Sportunterricht und alles, was die Kinder im Sport erleben, auch immer nur leistungsorientiert ist und einige darunter sozusagen leiden, weil sie permanent zu den Schlechtesten, zu den Verlierern gehören, dann bin ich fest der Meinung – also das wissen wir ja auch aus der pädagogischen, didaktischen Forschung – dass wir dann Sportverlierer-Karrieren entwickeln.“
Worum geht es Reform-Gegnern wirklich?
Laut den Gegnern der Bundesjugendspiele-Reformen hilft Leistungsdruck Kindern dabei, mit Niederlagen umzugehen, und soll sie besser auf das Berufsleben vorbereiten. Genaue Messungen sollen demnach nicht abgeschafft werden. Dass diese Ansicht jeglichen Forschungsergebnissen widerspricht, wollen sie anscheinend nicht wahrhaben. Doch woher kommt dann dieser Drang, Menschen bereits im Kindesalter in den Leistungsdruck zu zwingen? Schließlich pochen Vertreter von FDP, CDU und anderen Konservativen bei anderen Streitpunkten wie Tempolimit und Corona-Maßnahmen doch stets auf Selbstbestimmung. Kinder und Jugendliche im Sportunterricht in Wettkämpfe zu zwingen klingt nicht gerade nach Selbstbestimmung.
Was das schlechte Abschneiden Deutschlands bei der WM angeht, gibt es übrigens noch andere Faktoren, die man durchaus beachten sollte. So erscheint es durchaus realistischer, dass den Sportlerinnen und Sportlern die mangelnde Finanzierung von Sportverbänden schadet (die Kuhles Parteikollege Christian Lindner übrigens um 30 Millionen Euro kürzen möchte) – vielmehr als Kinder, die nicht im Sportunterricht gedemütigt werden wollen.
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