Ex-GNTM-Kandidatin Lijana: „Es wird manipuliert, wer stolpern soll“
Manipulation, Isolation und festgelegte Siegerinnen, die Heidi Klum „egal“ sind: Ex-GNTM-Kandidatin Lijana Kaggwa erhebt schwere Vorwürfe gegen die Produktionsfirma der Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM). Sie selbst habe nach der Ausstrahlung sogar Suizidgedanken gehabt, sagt die ehemalige Teilnehmerin.
Triggerwarnung: Im folgenden Text geht es um die Themen Suizidgedanken, Depressionen und Mobbing. Das kann belastend und retraumatisierend sein. Sollten das für dich schwierige Themen sein, rede mit jemandem oder lies den Text nicht weiter. Bei der Telefonseelsorge findest du außerdem 24 Stunden am Tag Hilfe: Telefonisch unter 0800 1110111 oder per Chat unter online.telefonseelsorge.de.
„Mein erstes Youtube-Video nach so ’ner langen Zeit und dann gleich eins, wofür ich verklagt werde …“, mit diesen Worten startet Influencerin und EX-GNTM-Kandidatin Lijana Kaggwa ihr jüngstes Video. Der Grund für eine potenzielle Klage: „Bevor das Video startet, möchte ich euch darüber informieren, dass wir Models unter einer Schweigepflicht stehen. Teile dieser Schweigepflicht umgehe ich heute“, erklärt sie. Was Lijana Kaggwa in den folgenden knapp 30 Minuten über die erfolgreiche Show „Germany’s Next Topmodel“ schildert, klingt erschreckend. Sie spricht von Manipulation durch die Redakteurinnen und Redakteure der Produktionsfirma Redseven, davon, dass Models gezielt zum Stolpern auf dem Catwalk gebracht wurden, und von den schwerwiegenden Folgen, die die Show für sie persönlich hatte.
Lijana steigt überraschend im GNTM-Finale aus
Vor zwei Jahren stand Lijana selbst als Kandidatin von „Germany’s Next Topmodel“ vor der Kamera. Sie schaffte es damals sogar ins Finale. Ihr Auftritt blieb vielen noch lange in Erinnerung: Zu Beginn der Live-Show verkündete sie ihren Ausstieg aus der Show, machte dort bereits auf das Thema Cybermobbing aufmerksam. Gewusst habe von ihrem Vorhaben niemand.
„Vertraue niemals einem GNTM-Redakteur“
Lijana war in der Castingshow die Rolle der unbeliebten Zicke zuteilgeworden. Vorwürfe, dass es bei GNTM vor allem um die Quote gehe, dass den Kandidatinnen bestimmte Rollen zugeschrieben werden und das Material dementsprechend zusammengeschnitten werde, stehen schon länger im Raum. Doch die Aussagen von Lijana gehen noch darüber hinaus – und sie gehen ins Detail.
„Never trust a Redakteur“ ist in weißer Schrift bei Minute 8:08 in Lijanas Video eingeblendet. Laut der 25-Jährigen seien sie und die anderen Kandidatinnen von den Redakteuren der Produktionsfirma Redseven vor Ort gezielt manipuliert worden. Von vornerein habe man am Set dafür gesorgt, das Stresslevel der Kandidatinnen auf einem möglichst hohen Grundniveau zu halten. „Wir durften nicht rausgehen, nicht ein einziges Mal“, sagt Lijana. Weder Spaziergänge noch Einkäufe waren erlaubt. Den Kandidatinnen sei es verboten gewesen, die Villa zu verlassen, wer dagegen verstoße, fliege sofort raus. Zudem habe man als Kandidatin weder Zugriff auf das eigene Handy noch auf Fernseher, Netflix oder Radio – auch nach Drehschluss.
Und auch beim Essen habe die Produktionsfirma das Konfliktpotenzial nach oben geschraubt. „Wir dürfen einmal in der Woche eine Einkaufsliste schreiben. Bei 30 Mädels schreiben wir dann sowas rauf wie 15 Packungen Erdbeeren. Aber Leute es kommen nicht 15 Packungen Erdbeeren. Es kommt eine Packung Erdbeeren“, sagt Lijana. Zuckerhaltige und fettige Lebensmittel seien ohnehin nicht erlaubt. Bei 30 fremden Menschen, die unter diesen Umständen monatelang gemeinsam in einer WG wohnen, sei Stress unvermeidlich.
Eine Nanny als Vertrauensperson
Zudem habe es im Haus 24 Stunden am Tag eine Nanny gegeben. „Das heißt, selbst wenn die Kameras weg sind, ist immer jemand von der Produktionsfirma mit uns im Haus.“ Die Nanny sei für die Kandidatinnen eine Art Vertrauensperson gewesen, der man sich auch anvertraut habe, wenn es einem nicht gut ging oder es Streit mit anderen Kandidatinnen gegeben habe, sagt Lijana. „Du erzählst alles der Nanny, was natürlich perfekt ist. Denn die Nanny ist keine Pädagogin, und die Nanny ist nicht für uns da, sondern die Nanny ist ganz normal eine Angestellte von der Produktionsfirma. Das heißt alles, was wir der Nanny sagen, wird direkt an die Produktionsfirma weitergetragen.“
Versöhnung nach Drehschluss verboten
Gezielt hätten die Mitarbeiter außerdem durch Lügen die Kandidatinnen gegeneinander ausgespielt, ihnen bei Interviews Worte in den Mund gelegt und anschließend alles dem Drehbuch entsprechend zusammengeschnitten. Eine gängige Praxis sei dabei, dass die Kandidatinnen in Interviews die gestellte Frage wieder aufgreifen müssen. In ihrem Video erklärt Lijana das an einem Beispiel: „Die Redaktion fragt dich, ‚Also die Leistungen von Tamara waren ja diese Woche überhaupt nicht gut – würdest du sagen, sie kommt trotzdem weiter?'“ Ein einfaches „ich glaube schon“ werde an dieser Stelle nicht akzeptiert. Stattdessen müssen die Kandidatinnen die gestellte Frage im Wortlaut wiederholen. Das Ergebnis sei dann folgende Aussage der Kandidatin: „Ja also Tamaras Leistungen waren diese Woche überhaupt nicht gut. Ich glaube aber, dass sie weiterkommt.“ Am Ende übrig bleibe jedoch nur der erste Satz. Außerdem soll der Gruppe konkret vorgeschrieben worden sein, gemeinsam über Kandidatinnen zu lästern. Sich nach Drehschluss über Konflikte zu unterhalten oder sich zu versöhnen sei verboten gewesen.
„Es wird manipuliert, wer stolpern soll“
Die Vermutung, dass es bei „Germany’s Next Topmodel“ noch andere Faktoren als Leistung gibt, die über den Verbleib in der Show bestimmen, gibt es schon länger. Auch dazu bezieht Lijana in ihrem Video klar Stellung. „Leute, es kommt nicht auf die Leistung an bei ‚Germany’s Next Topmodel'“, sagt sie. Als Beleg berichtet sie von einer der ersten Fashion-Shows der Staffel. Viele Models hatten damals Probleme, sind gestolpert, umgeknickt oder gestürzt. Das sei laut Lijana kein Zufall gewesen: „Wir standen auf der Treppe, es sollte in zwei Minuten losgehen mit der Fashion-Show, da kamen die Stylisten und haben gezielt Mädels von uns die Füße eingecremt.“ Allerdings nicht allen, sondern nur ausgewählten Kandidatinnen. Die Folge: Durch die Creme sind die Füße rutschig, das Laufen in den High Heels wird schwer bis unmöglich, die Kandidatinnen rutschten aus den Schuhen und stolperten über den Laufsteg. „Das heißt, es wird vorher manipuliert, wer stolpern soll oder nicht.“
Verheerende Folgen: Depressionen und Suizidgedanken
Die Folgen der Teilnahme an der Castingshow waren für Lijana Kaggwa verheerend. Mit der Ausstrahlung der fertig produzierten Folgen kam der Hass. Im „Sekundentakt“ habe sie Nachrichten voller Beleidigungen, Gewalt- und Morddrohungen bekommen. Sie habe sich an die Redaktion gewandt, dort um Hilfe gefragt und darum gebeten, die Show so nicht weiterlaufen zu lassen. Sie habe von Redseven einen Psychologen zur Seite gestellt bekommen. „Im Endeffekt hat sich rausgestellt, er war kein Psychologe, er ist Medienberater für die Produktionsfirma“, sagt Lijana.
Nach Hunderten Nachrichten habe sie angefangen, „dem zu glauben, was die Leute da schreiben. Dass du ekelhaft bist, widerwärtig, nichts wert. Dass es deiner Familie besser gehen würde ohne dich“. Die Folge: Depressionen. Lijana schildert, sie habe sich eingeschlossen, unter Albträumen gelitten und sich selbst „abgrundtief gehasst“. Nicht nur sie selbst, auch ihre Angehörigen seien regelmäßig auf offener Straße beleidigt und belästigt worden. Als Lijana dann einen Giftköder, der ihrem Hund gegolten habe, in ihrem Garten fand, habe sie es nicht mehr ausgehalten. Sie schildert detailliert, wie sie ihren Suizid geplant habe.
Statement von GNTM zu den Vorwürfen
Auf Nachfrage der „Bunten“ bei der Produktionsfirma Redseven äußerte sich Sprecherin Tina Land zu den Vorwürfen: „Lijana scheint in ihrer Aufregung ein paar Dinge vergessen oder vertauscht zu haben. Nicht zuletzt für sie und mit ihr hat Prosieben während der Staffel eine Anti-Cybermobbing-Kampagne initiiert. Während der Staffel haben Lijana viele Experten unterstützt. Unter anderem die Prosieben-Konzernsicherheit in Zusammenarbeit mit der Polizei, das Prosieben-Künstlermanagement in Form von Geldzuschüssen und ein Psychologe, der sich auch noch nach dem Finale um sie gekümmert hat. Wir möchten feststellen, dass der Psychologe Michael Thiel kein Medienberater ist. Das sie jetzt, zwei Jahre danach, so unzufrieden ist, überrascht uns. Wir wünschen Lijana alles Gute für die Zukunft.“
Mittlerweile gehe es ihr wieder besser, sagt die Exkandidatin. Trotzdem habe sie bis heute mit Selbstzweifeln zu kämpfen. Ihre Suizidgedanken hätten sie damals so erschrocken, dass sie sich Hilfe gesucht habe. Beim „Bündnis gegen Cybermobbing“ wurde sie fündig. Auch die Polizei sei eingeschaltet worden. Durch die konkrete Androhung schwerer Vergewaltigung, die dem Sender und ihr zugeschickt wurde, wurde Lijana unter Polizeischutz gestellt. Ihre Erfahrungen wolle sie nun nutzen, um sich gegen Cybermobbing einzusetzen. Seit zwei Jahren sei sie bereits an Schulen unterwegs, um auf die schwerwiegenden Folgen von Cybermobbing aufmerksam zu machen.
Von Anika Schock
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