Europawahl: Was tun gegen Rechtsruck und Politikverdrossenheit unter jungen Wählenden?
Junge Menschen: politisch, tolerant und aufgeklärt? Die Europawahl zeigt ein anderes Bild. Politikverdrossenheit und Rechtsruck herrschen auch unter den jungen Wählenden. Was in der Krise Hoffnung gibt und was nun zu tun ist, analysiert MADS-Autorin Jette.
Eigentlich gelten junge Menschen, besonders die Gen Z, als links, aufgeklärt und politisch aktiv – dann kam die Europawahl. Die AfD konnte viele Erstwählende für sich gewinnen, auch die Union schnitt gut ab. Ein Abstrafen der Ampelregierung war das Ziel von vielen jungen Wählenden. Eine Folge der stetig zunehmenden Politikverdrossenheit bei Jugendlichen. Die Ursachen dafür sind bekannt und zeichnen sich seit Jahren ab: Junge Menschen verlieren mehr und mehr die Hoffnung.
Europawahl 2019 vs. 2024
Bei der vorherigen Europawahl wurde jungen Menschen noch ein hohes politisches Engagement nachgesagt. Fridays for Future sorgte im Wahlkampf 2019 maßgeblich dafür, dass Klimapolitik ein zentrales Thema des Wahlkampfes wurde. Eine Jugendorganisation hatte also den Themenschwerpunkt der Wahl bestimmt. Ein politischer Erfolg der Jugend, der vielen Menschen Zuversicht schenkte.
Anders ist es in diesem Wahlkampf. Die Unzufriedenheit überwiegt. Die Zuversicht von 2019? Wie weggeblasen. Statt Klimapolitik bestimmte nun das Thema Migration die Wahl. Einen Schwerpunkt, den vor allem die AfD bespielt, anheizt und zu nutzen weiß. Dafür setzt die Partei auch auf Tiktok. Um so ein heikles, vielschichtiges Thema wie Migration zu lösen, bietet die AfD radikale Lösungen und kommt damit gut an.
Und die anderen Parteien? Die machten deutlich, dass rechts keine Option sein darf. Eigene Themen setzten sie jedoch wenig. Selten betonten sie, wofür es sich lohnt, die eigene Stimme einzusetzen, stattdessen überwog das Dagegen. Ein Versuch der Ampel, auch Politikverdrossene zum Wählen zu bringen. Aufbruchsstimmung und Hoffnung blieben so allerdings aus.
Vier Tipps gegen Politikverdrossenheit
Dass die Jugend eine enorme Macht haben, handlungsfähig und themensetzend sein kann, bewies 2019. Wie können dieser Wille und die nötige Zuversicht wiederhergestellt werden?
1. Selbstwirksamkeit erkennen
„Mangelnde Hoffnung ist ein Grund zu handeln“, sagt Luisa Neubauer zum Thema Weltschmerz im Interview mit der „ZEIT“. Dafür muss man sich zunächst über die eigene Wirksamkeit bewusst werden, alle können zum Beispiel mit Demonstrationen, Petitionen und Aktivismus – auch im Kleinen – einen Unterschied machen und für wichtige Themen ein Bewusstsein schaffen. Auch im Podcast „G Spot“ von Stefanie Giesinger spricht die berühmte Klimaaktivistin in der Folge „Widerstand & Hoffnung“ über Themen wie Weltschmerz und Selbstwirksamkeit.
2. Über Probleme und Stimmung sprechen
Psychologinnen und Psychologen sind sich einig, dass es hilfreich ist, über vorhandene Ängste, Sorgen und möglichen Weltschmerz mit seinem Umfeld zu sprechen. Auf diese Weise werden viele feststellen, dass sie mit ihren Sorgen nicht allein sind. Das geht aus einem Bericht über Weltschmerz des Psychologienetzwerkes MindDoc hervor.
3. Informieren
Mit Blick auf die nächsten Wahlen: Es ist immer wichtig, sich vor einer Wahl bewusst zu sein, welche Partei man wählt: Vertritt sie wirklich die eigenen Interessen oder ist sie nur eine Wahl aus Protest gegen andere Parteien? Der einfachste Weg, sich über diese Fragen klar zu werden, ist der Wahl-O-Mat. Dieser gibt meist eine recht genaue Angabe über Parteien, die zu einem passen. Wer es ganz genau wissen will, kann sich die Wahlprogramme der jeweiligen Parteien durchlesen.
4. Auch die Politik muss etwas ändern
Wie wichtig soziale Medien im Wahlkampf wirken, zeigt eine Umfrage des Branchenverbandes Bitkom. Sie ergab, dass 78 Prozent der 16- bis 29-Jährigen die sozialen Medien für den schnellsten Weg halten, sich über das politische Weltgeschehen zu informieren. 43 Prozent gaben an, Social Media habe einen Einfluss auf die Bildung ihrer politischen Meinung. So zeichnet sich ab, dass über Plattformen wie Tiktok besonders junge Wählende gewonnen werden können. Diese Möglichkeit schöpft bisher nur die AfD wirklich aus.
Eine Auswertung von Statista im Februar 2024 hält fest, dass die AfD – auf all ihren Social-Media-Plattformen zusammen – mit 2,66 Millionen Followern die mit Abstand größte Reichweite besitzt. Die Grünen sind mit 1,43 Millionen Followern auf Platz zwei. Hinzu kommt, dass die Interaktionen pro Post, wie das Liken, Teilen oder Kommentieren eines Beitrags, bei der AfD durchschnittlich rund doppelt so hoch sind wie bei anderen Parteien. Das zeigte eine wissenschaftliche Erhebung des Politikberaters Johannes Hillje im Dezember 2023. Deutlich wird: Um einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen und vor allem junge Menschen zu erreichen, ist eine gute Social-Media-Kampagne essenziell.
Direkte Ansprache
Damit einhergeht, die potenzielle junge Wählergruppe direkt anzusprechen und ihr das Gefühl zu geben, von der Politik gehört und ernst genommen zu werden. Nur so kann einer Protestwahl oder einem Nichtwählen vorgebeugt werden. Diese Erkenntnis unterstreicht eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung von Juli 2023, die zu dem Schluss kommt, dass eine direkte Ansprache und Auseinandersetzung mit Wählenden, in welcher Form auch immer, der erfolgreichste Weg ist, um Stimmen zu generieren. Auch die – parteiunabhängige – politische Bildung an Schulen ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Politikverdrossenheit.
Von Jette Hüttemann
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