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Endometriose: Die unbekannte Volkskrankheit

Endometriose: Die unbekannte Volkskrankheit
Foto: Pexels/Kat Smith

Endometriose betrifft mehrere Millionen Frauen in Deutschland. Trotzdem berichten Betroffene von ahnungslosen Ärzten, schrecklichen Schmerzen und wenig Hoffnung auf Heilung. Doch die Krankheit rückt nun stärker ins Bewusstsein, und es gibt Möglichkeiten, den Alltag zu erleichtern.


Die erste Periode ist selten ein schönes Erlebnis. Für Salima El Kurdi markiert sie den Beginn einer langen Leidenszeit. „Seit ich mit zwölf das erste Mal meine Periode bekommen habe, leide ich an Krämpfen, Übelkeit und Verdauungsschwierigkeiten“, sagt sie. Erst fünf Jahre später, nachdem sie einmal vor Schmerzen sogar ohnmächtig geworden war, nahmen die Ärzte ihren Zustand ernst. Heute ist Salima 23 Jahre alt und weiß, dass die Krankheit Endometriose für ihre Schmerzen verantwortlich ist. Damit ist sie nicht allein, mehrere Millionen Frauen in Deutschland sind betroffen. Wie kann es da sein, dass eine derart einschneidende Krankheit so lange unerkannt bleibt?

Endometriose: Blutungen außerhalb der Gebärmutter

Experten schätzen, dass etwa acht bis 15 Prozent der Frauen zwischen Pubertät und Wechseljahren unter Endometriose leiden, was sie zur zweithäufigsten gynäkologischen Krankheit macht. Platz eins belegen Wucherungen in der Muskelschicht der Gebärmutter.

Salima leidet seit elf Jahren unter Endometriose. Foto: privat

Bei Betroffenen mit Endometriose wächst Gewebe, das dem der Gebärmutter ähnelt, außerhalb der Gebärmutter, beispielsweise an den Eierstöcken, im Bauchraum oder am Darm. Wie die Gebärmutterschleimhaut folgen diese Zellen dem hormonellen Zyklus und führen zu Blutungen, die den Körper nicht verlassen können. Die Folge sind schmerzhafte Zysten, Entzündungen und Vernarbungen. So leiden Betroffene unter Bauch- und Rückenschmerzen, besonders starken Blutungen, Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs, beim Stuhlgang oder Urinieren, zyklischen Blutungen aus Blase oder Darm und ungewollter Kinderlosigkeit.

„Während meiner Periode in die Schule zu gehen war für mich undenkbar“, sagt die 39-jährige Sozialpädagogin Sabrina Fricke, die ebenfalls an Endometriose erkrankt ist. Jahrelange Schmerzen, die Abweisung durch sämtliche Ärzte, psychische Probleme aufgrund der Pille und die Entfernung ihrer Gebärmutter waren nötig, um diese Erkenntnis zu erlangen. In Salimas Fall beschränkten sich die Schmerzen nicht nur auf den Zeitraum der Periode. Auch sonst litt sie unter starken Bauchschmerzen, die sie nicht einordnen konnte.

Sabrina Fricke ist Autorin eines Endometriose-Ratgebers und selbst von der Krankheit betroffen. Foto: Humboldt Verlag

Betroffene werden trotz heftiger Beschwerden meist nicht ernstgenommen, weil die Symptome für starke Regelschmerzen gehalten werden. Das hat auch Salima erfahren. „Sowohl meine Frauenärztin als auch meine Hausärztin haben mir Schmerzmittel verabreicht und gesagt, dass sich das noch einpendelt.“ Das tat es nicht. „Als ich mit 17 im Krankenhaus war, weil ich vor Schmerzen das Bewusstsein verloren hatte, wurde eine geplatzte Blutzyste bei mir entdeckt“, erzählt sie. Erst an diesem Punkt vermuteten die Ärzte, dass es sich um Endometriose handeln könnte. Sie selbst kannte den Begriff vorher nur, weil eine Freundin ihrer Mutter an Endometriose erkrankt war. In der Öffentlichkeit hatte sie den Begriff noch nie gehört. Von den ersten Symptomen bis zur Diagnose sind in Salima El Kurdis Fall sechs Jahre vergangen. Im Schnitt sind es sogar acht Jahre. „In dieser Zeit haben ungefähr 50 Prozent der erkrankten Frauen fünf oder mehr Ärzte aufgesucht“, gibt das Journal für gynäkologische Endokrinologie an.

Die Pille als „Wundermittel“

Sabrina Fricke übertrifft diesen Wert deutlich. 20 Jahre liegen zwischen ihren ersten Symptomen und der Diagnose. „Meine Schmerzen haben wir darauf geschoben, dass ich schon immer recht zierlich gebaut war. Mit nicht einmal 15 habe ich dann die Pille verschrieben bekommen, das war der Lösungsweg für die Frauenärzte“, sagt sie. Die daraus folgenden Stimmungsschwankungen und mentalen Probleme hätte ihre Frauenärztin einfach auf die Pubertät geschoben. Diese Erfahrung teilen viele andere Betroffene. „Ohne mich zu untersuchen und zu schauen, ob irgendetwas problematisch sein könnte, wurde mir die Pille verschrieben“, berichtet auch Salima. Hätten ihre Eltern das damals nicht verhindert, hätte sie vielleicht nie herausgefunden, dass sie an Endometriose leidet. „Später musste ich mir anhören, ich solle einfach ein Kind bekommen, dann würden die Schmerzen besser werden“, erzählt sie.

Dass diese Aussage nicht nur unverantwortlich, sondern auch falsch ist, bestätigt Sabrina Fricke. Während Schwangerschaft und Stillzeit habe sie sich total gut gefühlt. „Sobald sich mein Hormonhaushalt aber wieder normalisiert hatte, kamen die Schmerzen verstärkt zurück, und ich wanderte von einem Arzt zum nächsten, da ich noch immer nicht wusste, dass Endometriose existiert“, sagt sie. Außerdem erlitt sie aufgrund ihrer Endometriose eine Fehlgeburt. Dass sie heute zwei Kinder habe, grenze an ein Wunder. Möglich war das nur, weil sie früh schwanger wurde. Mit 30 hätte sie wohl keine Kinder mehr bekommen können.

Problematisch ist, dass viele Ärzte und Ärztinnen nicht ausreichend über die Krankheit informiert sind. Frickes Frauenärztin hielt ihre Adenomyose (Vorkommen von Gebärmutterschleimhaut in der Gebärmutterwand) für ein Myom, also einen gutartigen Tumor. Für die drei aufeinanderfolgenden Nierenbeckenentzündungen Frickes schien es gar keine Erklärung zu geben. Aufgrund ihres hohen Leidensdrucks und des enormen Blutverlustes ließ Fricke sich daraufhin die Gebärmutter entfernen. Weil es bei dem Eingriff wegen der vielen Verwachsungen und Verklebungen Schwierigkeiten gab, kam hier zum ersten Mal der Begriff Endometriose in Frickes Arztbericht vor. „Dann habe ich gegoogelt. Das war 2018. Ich saß zu Hause, und mir liefen wirklich die Tränen das Gesicht herunter, weil ich dachte: Hä, das ist ja genau das, was ich jahrelang erlebt habe“, sagt sie. Heute ist sie der Überzeugung, dass auch ihre Nierenbeckenentzündungen eine Folge der Endometriose waren, da sie nun ohne Gebärmutter keine dieser Entzündungen mehr hat.

Auch Salima El Kurdi musste eine Operation durchführen lassen, um Klarheit zu erlangen. Da Endometrioseherde auf Ultraschallbildern oft nicht zu erkennen sind, war eine Bauchspiegelung unter Vollnarkose der einzige Weg, die Endometriose sicher zu diagnostizieren. Seit Anfang dieses Jahres ist allerdings eine neue Methode auf dem Markt. Durch den Speicheltest Ziwig Endotest soll es allein durch eine Speichelprobe möglich sein, innerhalb kurzer Zeit auf Endometriose zu testen. Diese Möglichkeit umgeht zwar die Operation, steht aber in der Kritik. Zunächst kostet der Test 800 Euro und wird nicht von der Krankenkasse übernommen. Neben den hohen Kosten für die Betroffenen ist der Test zudem wenig erprobt. Die angegebene Sensibilität von 97 Prozent basiert auf einer Studie mit 200 Teilnehmerinnen. Experten sind der Meinung, das reiche nicht für ein fundiertes Ergebnis aus. Falls der Speicheltest positiv ausfalle, sei für die Therapie außerdem sowieso eine Operation nötig. So hält Doris Scharrel, die Landesvorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in Schleswig-Holstein, den Speicheltest nicht für eine realistische Alternative zu Ultraschallbildern und Bauchspiegelungen.

Endometriose als Quelle des Selbstzweifels

Die Diagnose hat für Sabrina Fricke vieles verändert – auch psychisch. „Bis dahin dachte ich immer, es wäre etwas falsch mit mir, und habe stark an mir gezweifelt“, sagt sie und bringt damit auf den Punkt, was viele Patientinnen fühlen. In ihrer Zeit in der Reha-Klinik habe sie mit vielen Betroffenen gesprochen, die den Zugang zu sich selbst verloren hätten und der Meinung gewesen seien, sie seien einfach zu schwach oder zu empfindlich. Gerade deshalb war es für Fricke eine große Erleichterung, sich in einem Endometriosezentrum behandeln zu lassen. „Sich angenommen zu fühlen, verstanden zu werden und nicht alleine damit zu sein hilft sehr“, sagt sie.

Auch für Salima endete die Ungewissheit im Endometriosezentrum. „Für mich war es eine der schlimmsten Erfahrungen, immer wieder zu Ärzten zu gehen, die sich damit eigentlich auskennen müssten, und dann von denen so schlecht behandelt zu werden“, sagt sie. Im Endometriosezentrum habe man sie dagegen ernstgenommen.

Der Erhalt solcher Zentren ist teuer. „In den Endometriosezentren wurde mit erzählt, dass die Ärzte und Ärztinnen gerne mehr forschen würden, aber nicht die Kapazitäten dafür haben“, berichtet Salima. Seit 1987 wurden vom Staat nur knapp über 4 Millionen Euro in Forschungsprojekte investiert, die unter anderem mit Endometriose zu tun haben. Wenn man bedenkt, dass jedes Jahr rund 40.000 Frauen und Mädchen neu erkranken, ist das nicht gerade viel. Doch nachdem Frankreichs Präsident Macron im Januar 2022 eine nationale Strategie zur Bekämpfung von Endometriose angekündigt hat, zieht der deutsche Bundestag nach und kündigt im Haushaltsausschuss an, sowohl 2023 als auch 2024 jeweils fünf Millionen Euro in Frauengesundheit und insbesondere in Endometrioseforschung zu investieren. „Ich finde es gut, dass überhaupt etwas investiert wird. Das sollte transparent sein“, meint Salima.

Trotz Endometriose glücklich leben

Sabrina Fricke versucht heute, positiv mit ihrer Krankheit umzugehen. „Für die betroffenen Frauen ist es wichtig, den eigenen Wert zu erkennen und sich immer wieder in Bewegung zu setzten, statt dem Selbstmitleid zu verfallen“, sagt sie. Dass die Krankheit nicht nur ein Übel ist, vermittelt sie auch in ihrem Ratgeber „Leichter leben mit Endometriose“, der am 23. Februar erscheint. „Ohne die Krankheit wäre ich heute nicht diejenige, die ich jetzt bin. Meine Erfahrungen helfen mir bei meiner Arbeit im Hospiz und als Sozialpädagogin“, sagt sie. Man müsse dankbar für die Dinge sein, die man trotz der Krankheit erreicht habe. Das helfe, über die Frustration hinwegzukommen. Das Leid gehöre einfach zum Leben dazu, aber wie man leide, ob lachend oder verbittert, darüber entscheide die innere Haltung. „Der Fokus liegt ganz klar auf Ermutigung und Lebensgenuss“, sagt Fricke.

Foto: Humboldt Verlag

Die Behandlungsmethoden

Trotz der steigenden Wahrnehmung für die Krankheit sind die Behandlungsmethoden noch immer ernüchternd. Je nach Ausprägung der Krankheit kann operiert oder mit Hormonen entgegengewirkt werden. Die Linderung der Schmerzen ist teilweise durch Medikamente möglich. Etwa die Hälfte der Betroffenen muss aber dauerhaft behandelt werden, da die Krankheit chronisch ist und die Endometrioseherde immer wiederkehren können (man spricht von einer hohen Rezidivrate). Von Person zu Person kann es trotzdem individuelle Maßnahmen geben, die den Alltag erleichtern. „Bewegung und eine ausgewogene Ernährung helfen. Außerdem gibt es besondere Trigger wie zum Beispiel Weizenprodukte und Alkohol“, berichtet Fricke von ihren persönlichen Erfahrungen. Sie selbst merke, wie sie mit fortschreitendem Alter immer mehr Lebensqualität zurückgewinne. Die Pille habe sie aufgrund mentaler Belastungen abgesetzt. Salima El Kurdi hingegen nimmt die Pille fast durchgängig. „Ich habe ein starkes Schmerzmittel verschrieben bekommen, weil die normalen Schmerzmittel wirkungslos sind. Wenn ich also das eine Mal im Jahr meine Periode kriege, kann ich den Schmerz so ganz gut aushalten.“ Eine Einschränkung sei die Krankheit trotzdem, schließlich leide sie trotz Pille phasenweise an Unterleibschmerzen.

Vor ein paar Jahren war das Bewusstsein für die Krankheit noch gering – die Mehrzahl der Betroffenen kannte Endometriose vor der eigenen Diagnose nicht. Doch Salima El Kurdi und Sabrina Fricke sind sich einig: Dank Instituten wie der Endometriose-Vereinigung, Social Media und Erfahrungsberichten wird das Thema immer mehr zur öffentlichen und politischen Debatte.

Von Emelie Trimpel


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Über den Autor/die Autorin:

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