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Die Referendarin: Einmal geplant, für immer geplant?

Die Referendarin: Einmal geplant, für immer geplant?
Foto:  Amelie Rook/Unsplash

Helena (26) ist eine von rund 30.000 Lehramtsanwärtern in Deutschland. Was passiert eigentlich hinter der sagenumwobenen Lehrerzimmertür? Wie ist es, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, die nur ein paar Jahre jünger sind als man selbst? Und wie kommt Helena mit dem Druck klar? Davon erzählt sie – unter Pseudonym – in ihrer MADS-Kolumne: die Referendarin.


Der Mythos ist wahrscheinlich schon genauso alt wie der Beruf. Hast du einmal den Matheunterricht der siebten Klasse geplant, kannst du daraus für den Rest des Lebens schöpfen. Und ganz ehrlich: Die Monologe meiner Professorinnen und Professoren an der Uni über unterschiedliche Lerngruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen habe ich nie wirklich verstanden. So verschieden können Kinder doch nicht sein, dass ich ein Thema komplett umkrempeln muss. 

Und dann bekam ich zum zweiten Mal eine neunte Klasse. „Perfekt“, dachte ich. Voller Vorfreude stiefelte ich mit meiner Vorbereitung zum Thema Gewaltenteilung am Beispiel des Kremlkritikers Alexei Nawalny in Richtung 9b. Doch statt aufgerissenen Augen, Fingerschnipsen und neugierigen Fragen blickten 29 Augenpaare mir nicht einmal desinteressiert entgegen, sondern starrten stumpf auf ihre iPads. Tote Hose. „Nehmen wir an, Sinan postet auf seinem Youtube-Kanal ein Video, in dem er über unseren Schulleiter berichtet“, begann ich einen letzten Versuch. Nicht nur Sinans Kopf ruckt hoch. Verhaltenes Kichern, dann erste Meldungen. Geschafft. 

Ufo361 statt Walther von der Vogelweide

Lerngruppen unterscheiden sich eben doch nicht nur von Schule zu Schule, sondern auch von Klasse zu Klasse. Die 11a interpretierte den mittelalterlichen Minnesang von Walther von der Vogelweide und verglich wie selbstverständlich das Slutshaming von damals mit heute. In der 11c löste schon ein Gedicht aus den Achtzigern von Sarah Kirsch Protestrufe aus: „Das Gedicht ist dumm. Es reimt sich ja nicht mal!“ Ich stand vor einem Dilemma. Sollte ich meinen Unterricht knallhart durchziehen, was zwar halb so viel Arbeit machen, dafür viele Nerven kosten würde? Ich entschied mich dagegen. Statt Eichendorff und Brecht interpretierten wir in der nächsten Stunde einen Song des deutschen Rappers Ufo361. Noch nie habe ich die Jungs der Klasse so intensiv mit Metaphern, Hyperbeln und Anaphern jonglieren sehen. Dass sich der Song von Ufo361 ebenfalls nicht reimt, ist ihnen nicht aufgefallen. 

Etwas ist an dem Vorurteil jedoch dran: Ich muss mich nur einmal in den Stoff einlesen. Das ist in den ersten Berufsjahren viel, wird aber weniger – bis das Kultusministerium die Inhalte der Fächer verändert. Diese Abwechslung ist aber auch das Spannende an dem Beruf.

Von Helena Fischer



Über den Autor/die Autorin:

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