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„Die Geschichte von Petra Kelly kann ein Impuls für die junge Generation sein“ 

„Die Geschichte von Petra Kelly kann ein Impuls für die junge Generation sein“ 
Foto: Andre Spolvint

Der Dokumentarfilm „Petra Kelly – Act Now!“ erzählt die Geschichte der Politikerin und Aktivistin Petra Kelly, die in ihrem Kampf für Frauenrechte und Klimaschutz eine Ausnahmeerscheinung war. Auch mehr als 30 Jahre nach ihrem Tod ist sie ein Vorbild für viele junge Menschen. Regisseurin Doris Metz spricht im Interview über Kelly, Herausforderungen der Dreharbeiten und Sexismus in der Filmindustrie. 


Frau Metz, was hat die Arbeit am Film über Petra Kelly für Sie besonders gemacht?

Petra Kelly war Teil meiner politischen Sozialisation. Sie war eine politische Hoffnungsfigur, sie stand für eine völlig andere, glaubwürdigere Politik. Sie hat schon damals alles zusammengedacht – für sie waren Frauen-, Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsfragen eins. Sie war ihrer Zeit weit voraus, hat global gedacht, war mutig und leidenschaftlich und hatte eine Vision für ein „gutes Leben für alle“. Dann wurde sie ermordet, und alles war vorbei. Als ich auf einer Fridays-for-Future-Demo plötzlich den Namen Petra Kelly von einer Gruppe junger Aktivistinnen gehört habe, war das wie ein Funke. Da wusste ich, dass die Zeit jetzt reif ist für einen Film über sie. Ihr politisches Denken und Handeln ist heute so erschreckend aktuell. 

Doris Metz. Foto: privat

Zu den Personen:

Doris Metz ist Regisseurin und wuchs im Allgäu auf. Nach dem Studium der Germanistik und Politik arbeitete sie zehn Jahre bei der Süddeutschen Zeitung im Bereich Medien und Innenpolitik. 2005 erschien ihr Film „Schattenväter“ über die Söhne von Willy Brandt und DDR-Spion Günter Guillaume. Mit Imogen Kimmel gewann sie für den Kinodokumentarfilm „Trans – I Got Life“ über die Lebenswirklichkeit von trans Personen den Publikumspreis beim Filmfest München 2021. Auch beim diesjährigen Filmfest in München trifft ihr Dokumentarfilm „Petra Kelly – Act Now!“ auf großen Anklang. Kinostart ist am 12. September.

Petra Kelly war eine international bekannte Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin. Sie war Gründungsmitglied der Partei Die Grünen und saß von 1983 bis 1990 als Abgeordnete im Bundestag. Nach ihrer politischen Karriere lebte sie zurückgezogen mit ihrem Lebensgefährten Gert Bastian in Bonn. Sie war schwer krank und litt unter Ängsten, da sie unter anderem Drohbriefe erhalten hatte. Im Jahr 1992 starben Kelly und Bastian. Laut Polizeibericht soll Kelly unter nicht völlig geklärten Umständen von Bastian im Schlaf erschossen worden sein. Anschließend soll er sich selbst das Leben genommen haben.

Petra Kelly. Foto: Peter Popp/dpa

Auf welche Herausforderungen sind Sie während des Drehs gestoßen?

Dokumentarfilme sind immer eine Herausforderung. Dazu kommt: Tote können sich nicht mehr wehren. Deswegen will man ihnen gerecht werden und genau recherchieren, keine neuen Spekulationen aufstellen. Über Petra Kelly sind so viele falsche Narrative im Umlauf: „Sie war schwierig“, erzählen die Männer bis heute oder „die Bedrohung hat sie sich eingebildet“. Auch die Geschichte vom Doppelsuizid ist definitiv falsch. Es ist erstaunlich, dass die erste Meldung sich so in den Köpfen eingeschliffen hat. Man hat Petra Kelly immer weiter zum Opfer gemacht und sich auf ihren Tod fokussiert. Der Tod war interessant, die True-Crime-Geschichte und mögliche politische Motive oder Hintermänner. Aber ihre Geschichte – ihr herausragendes politisches Leben – interessierte keinen. Von einem Femizid wollte man nichts wissen. Dann kam bei diesem Film auch noch Corona dazu, sodass zum Beispiel alle Archive lange geschlossen waren, Reisen war äußerst schwierig. Die ganze Recherche war deswegen ziemlich herausfordernd. Auch analoges Filmmaterial aus den vordigitalen Zeiten zu finden ist schwierig. Wir hatten also eine Menge zu tun. 

Petra Kelly hat schon früh für Frauenrechte gekämpft. Seitdem hat sich viel getan. Nun behaupten einige, man bräuchte den Feminismus heutzutage gar nicht mehr. Wie stehen Sie dazu?

Heute brauchen wir Feminismus mehr denn je. Gerade wenn man sich das Erstarken der neuen rechten, völkischen Bewegungen weltweit anschaut, die gesellschaftlicher Vielfalt, demokratischen Grundwerten und uns modernen, emanzipierten Frauen den Kampf angesagt haben. Heute glauben junge Frauen oft, dass man schon alles erreicht hat, aber so ist es leider nicht. Die Geschichte von Petra Kelly kann ein Impuls für die junge Generation sein. Luisa Neubauer sagte mir einmal: „Wir können ja nicht alles neu denken. Es ist Empowerment, an eine Legacy wie die von Petra Kelly anknüpfen zu können.“ Gender Pay Gap und Frauenquoten sind Probleme, um die schon lange gekämpft worden ist – und sie sind bis heute ungelöst. 

Was kann denn jeder einzelne von uns tun?

Petra Kellys großes Credo war immer die Zivilgesellschaft. Man kann Veränderungen in der Gesellschaft nur erreichen, wenn die Gesellschaft partizipativ ist. Sich auf allen Ebenen einzubringen und zu engagieren bis hin zu zivilem Widerstand ist wichtig, ob bei Demos gegen Rechts oder bei Demos und Aktionen fürs Klima, für die Erhaltung der Artenvielfalt und zur Rettung unseres Planeten. Bei Listen und Petitionen kann jeder mitunterzeichnen. Wir alle gemeinsam sind Gesellschaft, und wenn wir unsere freie demokratische Gesellschaft erhalten und die Erderwärmung noch stoppen wollen, müssen wir alle mehr machen und mutiger sein. Petra Kelly hat immer gesagt: „Wir müssen uns selbst riskieren in dieser Zeit.“ Das zählt heute mehr denn je.

Oft fallen schon innerhalb der Familie diskriminierende Aussagen. Wie sollte man in so einer Situation vorgehen?

Meine Tochter meinte immer: „Mama, warum mischst du dich immer überall ein?“ Wenn ich Diskriminierung und Ungerechtigkeit sehe, muss ich eingreifen. Bereits in der Familie wird man mit verschiedenen Meinungen konfrontiert, da kann man lernen, wie respektvolles Argumentieren und miteinander Umgehen geht. Mut zur Meinung, sich einzumischen und sich auch schützend vor andere zu stellen ist enorm wichtig. 

Auch in der Filmbranche gibt es sexistische Strukturen. Wie haben Sie das erlebt?

Es war lange so, dass Männer einen bevorzugten Zugang in der Filmindustrie hatten und deswegen auch nichts von einer Quote wissen wollten. Von all den Genres ist der Dokumentarfilm in der Regie noch am weiblichsten. Das hat auch damit zu tun, dass man mit Dokumentarfilmen am wenigsten Geld verdient. Beim dokumentarischen Arbeiten ist es oft weniger hierarchisch, man ist nur ein kleines Team. Ich arbeite seit Langem mit der renommierten Kamerafrau Sophie Maintigneux. Wir kennen uns gut, da ist ein ganz anderes Klima am Set. Aber Produzentinnen und Kamerafrauen sind noch immer in der Unterzahl. Grundsätzlich bleibt es ein langer Kampf. In diesen Strukturen bleibt immer die Angst, dass, wenn du was sagst, du nicht mehr besetzt wirst und keinen Job mehr kriegst. Inzwischen gibt es aber glücklicherweise viel mehr Aufmerksamkeit und Sensitivität für das Thema. Es wird genauer hingeguckt. 

Foto: Bildersturm Filmproduktion

Was können wir heute aus der Geschichte von Petra Kelly lernen?

Wir brauchen mehr glaubwürdige Politiker, die als Personen für etwas stehen und nicht jeden Tag eine andere Meinung verbreiten, je nachdem wie der Wind dreht. Politik sollte kein lobbyistisch getriggertes Geschäft sein, sondern die Utopie verfolgen, für alle ein besseres Leben zu schaffen. So hat das Petra Kelly gesehen. Gemeinsam mit Menschen auf Augenhöhe und nicht von oben herab Politik machen und vor allem den Leuten die Wahrheit sagen – das ist der Schlüssel. Durch ihre innere Glaubwürdigkeit und ihre kämpferische Leidenschaft konnte Petra Kelly die Menschen dazu bringen, etwas zu tun, sich gesellschaftlich mehr einzubringen. Das hat sie auch noch nach ihrem Tod geschafft. Man darf nicht hoffnungslos sein und denken, alles ist korrupt und sinnlos. Man muss weiterkämpfen. 

Interview von Tara Yakar


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Über den Autor/die Autorin:

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