
Die Angst vor dem Hörer: Was tun gegen Telefonphobie?

Schon ein kurzer Anruf, um einen Termin zu vereinbaren, ist für einige junge Menschen eine Stresssituation. Sie leiden unter Telefonphobie. Ein Betroffener berichtet, was ihm geholfen hat.
Bevor Johann zum Telefon greift, geht ihm alles durch den Kopf, was schiefgehen könnte. „Ist die Akustik schlecht? Verstehe ich die andere Person nicht? Sage ich etwas Falsches?“ Diese Fragen wühlen ihn auf. Je länger er einen Anruf hinauszögert, desto panischer wird er. Das Herz schlägt immer schneller, die Angst nimmt zu.
Angst vor dem Telefonieren ist nicht selten, entsprechende Probleme werden in jeder psychothera-peutischen Praxis vorgebracht.
Thomas Adler, Psychotherapeut
Johann litt lange an Telefonphobie. Ein Anruf beim Arzt oder eine unbekannte Nummer auf dem Display lösten Panik in dem 23-Jährigen aus. Mit SMS, Whatsapp-Nachrichten und E-Mails versuchte er, dem Telefonieren aus dem Weg zu gehen. Wenn das nicht ging, hat der Student oft den Weg zur Arztpraxis oder zum Friseursalon auf sich genommen, um persönlich einen Termin zu vereinbaren. Im Gegensatz zum Telefonieren war das kein Problem. Damit ist Johann nicht allein, wie Psychotherapeut Thomas Adler berichtet. „Angst vor dem Telefonieren ist nicht selten, entsprechende Probleme werden in jeder psychotherapeutischen Praxis regelmäßig und tendenziell häufiger vorgebracht.“ Dabei handle es sich oft um Menschen, die bereits umfassendere psychische Probleme wie soziale Phobien und depressive Störungen haben.
Mehr soziale Ängste bei jungen Menschen
Allgemein kommen soziale Ängste bei jüngeren Menschen häufiger vor. „Als mögliche Disposition kann die noch weniger stabile Persönlichkeitsstruktur jüngerer Menschen sowie die schwieriger werdende Identitätsfindung gesehen werden“, sagt Adler. Auch die vorgegebenen Perfektionsansprüche durch soziale Medien und auch Familie und Gleichaltrige wirkten sehr verunsichernd. So entstehe ein geschwächtes Selbstwertgefühl und die Angst, im sozialen Austausch nicht „präsentabel“ zu erscheinen. „Der kurzfristig naheliegende Ausweg besteht dann im Meiden der ,Prüfungssituation‘ des Gesprächs“, sagt der Psychotherapeut. Das Telefonieren wird also aus Angst vor dem Scheitern im sozialen Austausch immer weniger. Und das inzwischen bei vielen jungen Menschen.
Telefonphobie: Messenger ersetzen Telefonate
So zeigt auch die 2018 herausgebrachte JIM-Studie (Jugend, Information, Medien), dass nur noch jeder fünfte Jugendliche in Deutschland zwischen zwölf und 19 Jahren das Handy täglich zum Telefonieren nutzt. In den folgenden Jahren wurde das Telefonieren in der Studie nicht mehr berücksichtigt. Im Gegensatz dazu sind Social Media und Nachrichtendienste für junge Menschen immer wichtiger und beliebter geworden. Aus der JIM-Studie 2020 geht hervor, dass 86 Prozent der Jugendlichen täglich Whatsapp benutzen und diese im Schnitt 22 Nachrichten pro Tag bekommen. Es wird also stetig mehr Abstand zu dem Gespräch am Telefon genommen – das Schreiben einer Nachricht geht meist schneller und kostet nicht so viel Überwindung. Durch die mangelnde Übung verschlechtere sich schließlich die Fähigkeit des Telefonierens, so Adler. Das kann in vielen Fällen die Versagens- und Schamgefühle verstärken, die dann zu einer Telefonphobie, wie sie Johann erlebte, werden. Zudem führe dieser Rückzug oftmals auch zu einer Verschlechterung der allgemeinen psychischen Situation und in einigen Fällen sogar zu einer depressiven Entwicklung.

Adler rät, sich mit der Telefonangst wie mit jeder sozialen Phobie auseinanderzusetzen und die eigenen Maßstäbe etwa an Originalität und Schlagfertigkeit auf ein „menschliches Maß“ zu reduzieren. Zudem sei es hilfreich, dem Gegenüber vor dem Gespräch mitzuteilen, dass einem das Reden nicht leichtfällt. „Muss man das Problem nicht verstecken, so wird es schon etwas kleiner“, sagt der Psychotherapeut. „Weiterhin sollte man sich immer wieder verdeutlichen, dass man im Gesprächsverlauf jederzeit das Recht hat, ,nein‘ oder ,da muss ich erst mal drüber nachdenken‘ zu sagen.“ Sollten die Ängste aus eigener Kraft unüberwindbar erscheinen und zu einem sozialen Rückzug führen, sollten sich Betroffene an einen Fachmann oder eine Fachfrau wenden.
Konfrontation im Callcenter
Inzwischen geht es Johann besser. Wenn der 23-Jährige nun zum Telefon greift, steigt keine Angst mehr in ihm auf, und er muss sich nicht lange auf das Gespräch vorbereiten. Was ihm geholfen hat, ist die immer wiederkehrende Konfrontation. Für zwei Monate hat er in einem Callcenter gearbeitet. Die Überwindung der Phobie war ein Prozess, der durch seine Arbeit und das ständige Organisieren um einen Anruf herum begünstigt wurde. Heute hat er keine Angst mehr, fremde Menschen anzurufen oder angerufen zu werden. Das Telefonieren mit Freunden und Familie mag er allerdings bis heute nicht.
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