Deshalb braucht Hannover einen Nachtbürgermeister
Lautstarke Kioskbesucher, Partys auch an Werktagen, umstrittene Türpolitik – eine Menge Probleme sorgen in Hannover für Konflikte zwischen Anwohnern und Club- und Barbetreibern. Vor Kurzem hat Mannheim als erste Stadt in Deutschland einen Nachtbürgermeister eingesetzt, der bei Konflikten vermittelt. Nun fordern sowohl die Ratsfraktion der Grünen als auch der Verein Klubnetz, in dem sich 16 niedersächsische Clubs, Bars und Veranstalter organisiert haben, das gleiche Modell für Hannover. Sie wollen einen Vermittler, der sich den Problemen des Nachtlebens annimmt. ZiSH hat in Hannovers Clubszene nachgefragt, was die drängendsten Anliegen an einen Nachtbürgermeister wären.
„Die Leute zahlen für Musik, nicht für 70 Architektengenehmigungen!“, sagt Gunnar Geßner, Vorstand des Vereins Klubnetz. Er ist entnervt von den kleinteiligen Bauauflagen der Stadt. So hatte er zum Beispiel bei seinem Club Gut e.V. in der Nordstadt Probleme mit den Auflagen zur Nutzung der Kanalisation.Auch das Kulturzentrum Faust versteht das Vorgehen der Verwaltung nicht immer. „Als wir mehr Beleuchtung für die Wiese vor der Location wollten, wurde das von der Stadt abgelehnt. Uns wurde gesagt, dass dann jeder mehr Licht will – und das wäre ziemlich teuer“, so Jörg Smotlacha vom Team der Faust. Er und Geßner sind sich einig: Ein Nachtbürgermeister könnte ihre Anliegen sicher mit mehr Nachdruck vorbringen.
Nicht nur eine starke Kommunikation mit der Stadt könnte Probleme beseitigen, sondern auch unter den Clubbetreibern selbst. Diese reden aber viel zu wenig miteinander, findet Claudia Pahl von Feinkost Lampe. „Niemand kennt die Probleme der anderen“ – genau da könne ein Nachtbürgermeister einspringen. Dieser sollte „überall up to date sein und alle vernetzen“. Ganz anders sieht das Jörg Smotlacha, Sprecher des Faust-Teams. Die meisten Clubs kommunizierten großartig miteinander, auch gibt es „viel Kooperation und kaum Konkurrenz“. Das findet auch Sem Köksal, Besitzer des Technoclubs Weidendamm. „Was den gegenseitigen Austausch angeht, fühle ich mich gut versorgt.“ Ein Nachtbürgermeister könnte seiner Meinung nach höchstens bürokratische Prozesse beschleunigen, aber kaum die bereits gute Kommunikation verbessern.
Die Clubs am Raschplatz sorgen sich wegen der wiederholten Diskriminierungsvorwürfe: Türsteher und Clubs werden „pauschal des Rassismus beschuldigt“, meint Christian Schur vom Nachtclub Dax. Dabei habe das Dax selbst bei Klagen immer nachgewiesen, dass es keine Diskriminierung gab. Auch Marlon Mälzer, Geschäftsführer der Diskothek Baggi, beklagt: „Bei jeder Abweisung an der Tür wird heute die Rassismusfrage gestellt.“ Er will auch künftig nicht jeden Gast in seinen Club lassen – um Streit in der Disco vorzubeugen. Damit die Feiernden die Türpolitik nachvollziehen können, würde er einen vermittelnden Nachtbürgermeister begrüßen. Stress, wenn jemand nicht in den Club gelassen wird, gebe es schließlich in vielen Clubs. Dennoch stellt der Baggi-Chef klar: „Wirklich kein Club lässt sich von einem Externen sagen, wer reindarf und wer nicht.“
Michael Lohmann, Geschäftsführer des Konzertveranstalters Hannover Concerts und Betreiber des Capitols, bedauert, dass das Nachtleben inzwischen oft nur mit Problemen wie Lärm in Verbindung gebracht werde. Dabei lasse sich mit Gutachten klären, ob die Musik zu laut sei oder nicht. Statt eines Nachtbürgermeisters würde er sich eher einen echten „Botschafter der Partyszene“ für die Stadt wünschen. Schließlich würden Konzerte und DJs viele Menschen begeistern und eine Partykultur das Stadtleben bereichern.
In den vergangenen Jahren hat sich die Clubkultur stark verändert: „Zum Rauchen muss man die Bars verlassen, die Kioskkultur flammte auf, und auch montags bis donnerstags
wird immer mehr gefeiert“, so fasst Claudia Pahl von Feinkost Lampe die Entwicklung zusammen. Dies sorge besonders in Linden für Konflikte mit Anwohnern. Auf der letzten Bezirksratssitzung standen sich feierfreudige Limmerstraßen-Besucher und vom Lärm genervte Anwohner deshalb unversöhnlich gegenüber. Die Chefin des Indie-Pop-Clubs aus Linden-Mitte bittet ihre Besucher, beim Verlassen des Geländes leise zu sein – was auch meist gut klappt. Das Faust-Team bittet Besucher mit Transparenten, Rücksicht auf die Nachbarn zu nehmen – was angesichts der Beschwerden aber offenbar nicht immer fruchtet. Auch am Raschplatz sind Beschwerden wegen der Lautstärke laut Baggi-Geschäftsführer Marlon Mälzer ein großes Problem. Er wünscht sich, dass ein Nachtbürgermeister das Thema anpackt.
In Berlin sind Pantomime im Einsatz, um zu verhindern, dass Partygänger ihren Müll auf den Straßen verteilen oder die Anwohner mit ihrer Lautstärke stören. Die bunt geschminkten Darsteller mischen sich unter die Feiernden, wiegen Kuscheltiere in den Schlaf und entsorgen unsichtbare Flaschen artgerecht – im Mülleimer statt auf der Straße. Außerdem hat das Clubnetzwerk Clubcomission Berlin ein spezielles Lärmschutzfenster entwickelte, das „Berliner Clubfenster“. Kreative Problemlösungen wie diese fehlen in Hannover. „Es könnte Aufgabe eines Nachtbürgermeisters sein, sich weltweit von Ideen wie aus Berlin inspirieren zu lassen“, sagt Klubnetz-Sprecher Geßner.
Dass Probleme nicht nur rechtlich gelöst werden können, betont Hannover-Concerts-Chef Michael Lohmann. „Man sollte die Verantwortlichkeit nicht immer sofort an höhere Instanzen abgeben“, sagt der 66-Jährige. Er diskutiert Beschwerden gerne zusammen mit den Betroffenen. Einen weiteren Ansprechpartner fürs Nachtleben bräuchte es nicht, meint er. „Wir verwalten uns noch zu Tode.“ Wenn aber doch ein Nachtbürgermeister kommen sollte, sollten Clubbetreiber dennoch zuerst selbst eine Lösung für Konflikte suchen. Damit das Amt dem Nachtleben der Stadt wirklich hilft, meint Petitions-Initiator Geßner, müsste es viel mehr sein als die Notfallanlaufstelle bei Streitigkeiten. Der Klubnetz-Vorstand wünscht sich einen Nachtbürgermeister, der als „übergeordnete Instanz die Interessen aller Akteure in der Partyszene“ zusammenbringt. Dafür bräuchte man allerdings jemanden sehr Hartnäckiges – „eine Person mit Bums eben“.